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  • März 29, 2024, 06:38:43

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Themen - Eldkatten

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Hallo,

vor zwei Wochen hatte ich Gelegenheit, bei einem Kaffee mit einem Professor für 'Deutsche Literatur ab dem 18.Jhd' der Universität Oxford zu plauschen (Hach, was bin ich wichtig  :D ). Eines der Themen, ausgehend von seiner Begeisterung für romantische deutsche Literatur, war die Frage, wem "Altes" eigentlich gehört. Denn ihn als Briten geht deutsche Literatur eigentlich gar nichts an, hart formuliert, denn die "gehört" ja uns Deutschen bzw. Deutschsprachigen. Er sieht in seiner Praxis die andere Seite der Medaille, nämlich Briten zu motivieren, sich mit deutscher Literatur zu befassen, denn die haben doch "ihre eigene" Literatur.

Ich erzählte ihm von der Bronzescheibe, die bei Nebra gefunden wurde: Das Land Sachsen-Anhalt hat sich mit einigen Tricks (Eintragung der Bezeichnung "Himmelsscheibe" und des Designs der Scheibe als "Marke") die Vermarktungsrechte und faktisch das Exklusiv-Eigentum gesichert.
Weiter gings es zum Book of Kells, das eifersüchtig im und vom Trinity College in Dublin gehütet wird. Als Normalsterblicher darf man sich nur die jeweils aktuell aufgeschlagenen zwei Seiten in einer dicken Glasvitrine ansehen, sowie ein paar Faksimiles. Wenn man mehr oder gar das vollständige Buch betrachten möchte, muss man viel Geld für einen Faksimile-Druck ausgeben.
Als letztes Beispiel aus unserer Diskussion erwähne ich die Edda, die von den Germanentümlern und Völkischen als "unser Erbe" angesehen wird, das "unsere Ahnen" quasi direkt in "unsere" Hände gelegt haben.

Es ging also um die Frage, wem alte Dinge, alte Ideen, alte Kunst, deren Urheber schon längst tot und zu Staub zerfallen sind, eigentlich gehört. Wer also das Recht hat, diese alten Dinge, alten Ideen, alte Kunst zu nutzen, den Zugang dazu zu kontrollieren und (exklusiv) zu interpretieren. Wir waren uns ziemlich einig darin, dass solche Dinge, beispielhaft Bronzescheibe von Nebra, Book of Kells und Edda, der gesamten Menschheit gehören, in dem Sinne, das jeder Mensch, egal wo er lebt und woher er stammt, das volle Nutzungs- und Interpretationsrecht hat, und vollen Zugang (eingeschränkt nur durch absolute Notwendigkeiten zur Konservierung der betreffenden Gegenstände) haben soll.
Damit müssten wir uns aber von manchmal liebgewordenen Vorstellungen verabschieden, etwa, dass die Edda "uns Germanen" gehöre, und Afrikaner und Asiaten sie zwar literarisch anerkennen dürfen, aber ansonsten bitte die Finger davon zu lassen haben. Oder dass das Book of Kells den keltischen bzw. iroschottischen Christen gehöre oder gar einer bestimmten Abtei oder einem einzelnen College.
Natürlich muss man den Zusammenhang - örtlich, historisch, kulturell - deswegen nicht zwangsläufig vergessen. Aber was bedeutet es denn heute, dass die Edda auf Island geschrieben wurde? Das ist tausend Jahre her, und kein einzelner Isländer und selbst nicht die gesamte Isländerschaft hat einen begründeten Exklusiv-Anspruch darauf. Dasselbe gilt für archäologische Stätten. Wenn ein Indio aus Venezuela in einem Matronenheiligtum beten will, hat niemand das Recht, ihm das zu verwehren, erst recht nicht mit der Begründung, dass ihm die Stätte "nicht gehöre". Uns gehört sie auch nicht, oder genauso sehr wie dem Indio aus Venezuela.

Ich habe eine Theorie, weswegen manche Leute so sehr auf das "Erbe ihrer Ahnen" abheben, aber die ist nicht nett ;-) Mein Eindruck ist leider immer wieder der, dass die Leute, die sich bei jeder Gelegenheit auf ihre Ahnen und deren Leistungen beziehen, es bitter nötig haben, sich diese Leistungen als vermeintliches Erbe anzueignen, weil sie nämlich selbst Würstchen sind, die keine eigenen nennenswerten Leistungen zustandebringen. Und/oder ein so geringes Selbstbewusstsein haben, dass sie sich mit "Ahnen" und "Erbe" aufzuwerten versuchen müssen. Zum Beispiel diese berüchtigten "Ich bin stolz, Deutscher zu sein"-T-Hemdträger, die weder sagen können, auf was genau sie da stolz sind und was ihr eigener Beitrag zu dem ist, wo sie stolz drauf sein zu dürfen glauben.
Ich bin mir bewusst, dass ich da unter Umständen in ein Wespennest steche, und mir den Unmut mancher zuziehe, die stark an Begriffen wie "Heimat", "Ahnen" und "Wurzeln" hängen. Dennoch stelle ich die Frage in den Raum: was verlieren "wir", wenn Menschen von der anderen Seite dieses Planeten, die seit "out of africa" mit uns keine gemeinsamen Vorfahren mehr haben, ihre Liebe zu Bach, italienischer Renaissance, nordischer Mythologie, Goethe, Schiller und Heine, keltischer Kunst und Megalithkultur entdecken und ausleben? Haben "wir" es nötig, dann von den "Fremden" dafür geehrt zu werden, dass dies vor langer Zeit zufällig an einem Ort geschaffen wurde, in dessen Nähe wir heute zufällig leben?

Und nochmal ganz allgemein gefragt: wem gehören Edda, Book of Kells und die Bronzescheibe von Nebra?

Schönen Gruss
Herbert

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