Der äußere Kreis (für Gäste sichtbar) > Unsichtbare Universität

Orakel und Cold Reading

(1/3) > >>

Mc Claudia:
Hi,

ich möchte mal einen skeptischen Thread zum Wahrsagen aufmachen.

Seit meinem 14. Lebensjahr lege ich Tarotkarten, habe bis vor etwa 14 Jahren auch noch Horoskope gedeutet und bin nach wie vor von Orakelsystemen, wie z.B. afrokaribische Muschelorakel, Runen, Ogam oder chinesischen Tempelorakel  
viewtopic.php?f=4&t=712
fasziniert. Letztere nicht zuletzt wegen ihrer Poesie in den Antwort-Gedichten und Kennings. Und die Tarotkarten faszinieren mich auch weiterhin, v.a. vom künstlerischen Aspekt und den hieraus ersichtlichen verschiedenen Zugängen zu den Karten.

Da ich aber in den letzten Jahren sehr skeptisch geworden bin, v.a. was magische oder mystische Phänomene betrifft, habe ich mich auch ein bisschen mit den psychologischen Erklärungen von Orakelaussagen beschäftigt, die man irgendwo unter den Begriffen „Cold Reading“ oder „Barnum Effekt“ wiederfindet.

http://blog.psiram.com/2014/02/cold-reading/

http://de.wikipedia.org/wiki/Cold_Reading

http://de.wikipedia.org/wiki/Barnum-Effekt

Diese Effekte sind aber nur dann vorhanden, wenn ein/e andere/r für jemanden ein Orakel oder ein Horoskop deutet. Legt man sich selbst die Karten oder lässt ohne Erklärung eines Dritten ein Kenning wirken, gibt es kein Cold Reading, weil ja keiner da ist, der es erklärt (außer man selbst).

Traditionelle Orakelsprüche haben auch meist die Angewohnheit, kryptisch zu sein. So ist der berühmteste Orakelspruch in unserer Kultur wohl der des Orakels zu Delphi an König Kroisos, der auf die Frage, ob er die Perser angreifen soll, die Antwort erhielt: „Wenn du den Halys überschreitest, wirst du ein großes Reich zerstören.“ – Kroisos glaubte, das große Reich wäre das der Perser. Letztlich zerstörte er mit dem Kriegszug aber sein eigenes Reich. – Orakel sind also oft zweideutig. Gut fürs Orakel – es hat letztlich immer Recht. Blöd für den, dem das Orakel gilt – die Deutung liegt letztlich bei ihm.

Weiters glaube ich auch nicht mehr wirklich, dass die Zukunft voraussagbar ist – höchstens sehr rudimentär. Jedenfalls nicht sicher genug, dass man sich hierfür auf Orakel verlassen könne. Zu viele Zufälle und Aktionen von verschiedensten Ereignissen verändern den Lauf des Geschehens von einem Augenblick zum nächsten. Abgesehen davon wäre ein fix vorhersagbares Schicksal irgendwo gegen meinen Freiheitsbegriff. Denn wenn das Schicksal in allem eh schon vorgegeben ist, wäre alles determiniert. Egal, wie wir uns entschieden, es wäre letztlich wurscht. Diese Vorstellung bereitet mir eher Unbehagen und stimmt aus Erfahrung auch nicht. Denn es macht mE. immer wieder einen Unterschied, ob man sich in der einen oder anderen Situation so, so oder ganz anders entscheidet.

Ein weiterer Grund, vor allem für wenig gefestigte Menschen, Orakel lieber zu meiden, liegt in der sich selbst erfüllenden Prophezeiung. Vor allem muss man als Deuterin vorsichtig mit schlechten Orakeln sein. Denn sie müssen ja nicht stimmen. Aber im Bewusstsein des Klienten bleibt auf jeden Fall das Schlechte hängen, und er wird jede schlechte Situation mit dem Orakel in Verbindung bringen und sich selbst damit schlecht beeinflussen. Ich versuche also, wenn ich für andere deute, immer einen guten Ausgang, eine Lösungsmöglichkeit mitzuliefern. Und ich bin selbst, wenn ich für andere lege, wahrscheinlich von unbewusstem Cold Reading genausowenig gefeit wie professionelle Wahrsager.

Ich benutze trotz meiner Skepsis gerne Orakel und lege sie auch immer wieder für andere. Zum einen regt es zum Denken an. Man macht sich Gedanken über eine Fragestellung oder eine anstehende Entscheidung. Und, egal wie das Orakel lautet, wird man durch das Orakel angetrieben, eine halbwegs sinnvolle Entscheidung zu treffen. Das Orakel nutze ich also gerne als Motivation für oder gegen eine bestimmte Entscheidung, wenn die Vernunft nicht mehr weiter weiß, wenn man an einem toten Punkt angelangt ist.

Weiters kann es auch als Meditationshilfe dienen für die genaue Betrachtung einer Fragestellung oder eines Problems. Ein Orakel als Bild oder Spruch, das einem für eine gewisse Zeit Lebenshilfe sein kann.

Und letztlich mein religiöser Grund – klingt jetzt groß – um den Götterwillen zu erfahren. Wer nicht dauernd luzide träumt und auch nicht auf ewiggültige heilige Schriften zurückgreifen kann, für den ist ein Orakel auch Mittel, um den göttlichen Willen zu erforschen zu einer bestimmten Problematik. Und weil es ja im Polytheismus viele Gottheiten gibt, können diese göttlichen Willen durchaus verschieden ausfallen. Ich persönlich tu allerdings nicht immer, was meine Gottheiten wollen, denn ich hab noch immer einen eigenen Kopf. Ist aber interessant, auf diese Weise mit Ihnen zu kommunizieren. *g*

Was ich kaum mehr tue – oder höchstens aus Spaß und weil ich zu viel Geld hätte – ist, zu einem kostenpflichtigen Wahrsager oder einer Kartenlegerin zu gehen, die mir wahrsagt. Ich bezweifle, dass, egal was für ein Renommee so jemand hat, dass diese Orakel „wahrer“ sind als die, die ich von Freunden gratis bekomme oder mir selbst lege.

Was sagt Ihr dazu? Welche Orakel nutzt Ihr? Warum (nicht)? Was sagt Ihr zum Cold Reading? Gibt es eine vorhersagbare Zukunft? Oder nur Teile der Zukunft, die sicher sind?

Liebe Grüße

Mc Claudia

Athunis:
So wie ich es gelernt habe dient ein Orakel immer als Werkzeug um mit den Göttern zu reden. Diese geben ihre Ansicht und Einsicht zu einem Thema wieder und was gegebenenfalls zu machen ist, wenn das Schicksal mal beschissen läuft.
Dabei geht es bei einer Sitzung weniger darum ob man dieses oder jenes in der Vergangenheit erlebt hat und ob man in der Zukunft drei oder achzig Kinder bekommt oder einen tollen Job mit viel Geld. Sondern die Menschen wollen Kinder und fragen warum es nicht klappt, oder sie wollen mehr Geld und fragen wie dies zu bewerkstelligen ist.
Dann kommen die Götter und sagen was zu tun wäre, welche Opfer man wem bringen soll und wie man das Leben besser gestaltet, welche Arbeiten zu erledigen sind. Die traditionellen Orakel sind gar nicht so zu verstehen wie wir das von unseren KartenlegerInnen und WahragerInnen hier kennen, sie sind mehr Gegenwartsbezogen und warnen vor einer unpassenden Zukunft und geben gleichzeitig Tipps wie diese zu ändern sei.
Unf genau da passieren auch die Dinge die du angesprochen hast: eine Venus sieht ein Liebesproblem anders als ein Mars oder ein Ahne usw... Daher ist es immer von Vorteil zu sehen wer denn da spricht und was die wollen, und warum.

Die Beispiele aus der Antike sind natürlich geschönigt, da wurden die wunderlichtsten Geschichten drumrum gesponnen, Pythia hat auch mit schwarze und weißen Bohnen gewahrsagt, die hat sie gezogen und je nach Bohne war es eine positive oder negative Antwort. Eigentlich ein klares Urteil, an dem man sich wahrscheinlich auch nicht streng gehalten hat.
Ich rede auch gern mit den Gottheiten, aber wie schon die Orakel, sind die manchmal auch recht lästig und wage, es sind Gottheiten, keine streng genormten Wesen, teils mit sehr seltsamen Ansichten und Lebensweisheiten. Erst mit der Zeit kann man eine gute Verbindung und Zusammenarbeit aufbauen, die auch langfristig klar ist. Meiner Erfahrung nach. Und, auch meine Erfahrung, sie sind sehr interessiert das Mensch sich nen eigenen Kopf macht und mit seinem eigenen Willen lebt, und nicht nach ihren. Geister/Gottheiten die die Menschen unterjochen und zu willenslosen Zombies machen, sind ne andre Kategorie.

Mc Claudia:
Danke,

das mit dem Opfer hab ich ganz vergessen. Das ist ja bei den afrikanischen und afrokaribischen Orakelaussagen oft das Um und Auf, wem man etwas und was schenken sollte, damit man das Schicksal zu den eigenen Gunsten wendet.

Wenn ich mal Zeit hab, werd ich mich da in punkto kelt. Gottheiten näher befassen, welchen Orakelstab man für welches Opfer bzw. welche Gottheit nehmen könnte. Wird aber eine längere Forschung ....  :D

Bis dato hab ich mich immer auf mein Gefühl verlassen, wenn es um Opfergaben ging. Hat auch funktioniert.

Athunis:
ist das nicht bei so ziemlich allen antiken religionen und praktiken das um und auf? wage ich jetzt mal so in den raum zu stellen. ich persönlich glaube, das einiges weggefallen ist nach der christianisierung und eine simplere form der verehrung über geblieben ist. aber die basics dass man einem gott/göttin, geist oder dämon opfert, was man ihm/ihr opfert, wie, wo und warum ist schon sehr lange präsent.
auch das ausorakeln des geopferten ist auch "europäisch" antik, ich denke an die eingeweideschau, an die anschließende vogelschau, dem beobachten des rauches, beobachten des opfertieres usw. um den willen des beopferten geistwesens zu erfahren. das sind elemente die in dieser oder einer modernisierten form in vielen religion übrig geblieben sind, in den meisten mit einem präfix "neo-" versehenen religionen und praktiken aber irgendwie wegrationalisiert worden sind... grob gesagt.
sonst stimmts, das opfer ist das um und auf um mit den gottheiten zu dealen und zu kommunizeren. wobei "opfer" ein sehr weitläufiger begriff ist, wo ganz viel geschehen kann und reinpasst. in unserem verständniss ist das opfer nicht unbedingt nur ein tier oder etwas, das sehr teuer und wertvoll ist um es dazubringen. es kann auch einfach ein schluck wasser sein.  :D

Mc Claudia:
Hei Athunis,

ich meinte nicht das Opfern an sich - das findet man als religiöse 0815-Basis in so ziemlich allen Kulturen mehr oder weniger wieder.

Ich meinte die Besonderheit, dass mittels Orakels herausgefunden wird, WAS man WEM opfern soll. Also, wenn der Klient mit einer Frage zum Fetischeur kommt, und der macht ein Orakel und sagt dem Klienten dann die Problematik, und mit welchen Handlungen und Opfergaben (an welche Gottheit) er sein Problem lösen (helfen) kann.

Das ist ja irgendwo die Norm in den westafrikanischen Orakelsessions, wenn ich das richtig verstanden habe?

Und das habe ich aus antiken Quellen über Griechenland und Rom so noch nicht gelesen. Wäre aber interessant, wenns da Quellen gäbe?

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

Zur normalen Ansicht wechseln