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Autor Thema: Gleichheit ist Glück  (Gelesen 7452 mal)

Mc Claudia

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Gleichheit ist Glück
« am: Dezember 30, 2010, 13:48:05 »
Hi,

ich habe vor Kurzem dieses Buch hier

http://www.amazon.de/Gleichheit-ist-Gl% ... 873&sr=8-1

ausgelesen. „Gleichheit ist Glück – warum gerechte Gesellschaften für alle besser sind“ von den Wissenschafter/innen Richard Wilkinson und Kate Pickett.

Es mag vielleicht eine Binsenweisheit sein, dass man sich besser fühlt, wenn man gerecht behandelt wird. Und es ist auch eine Binsenweisheit, dass es dem Wohlbefinden nicht zuträglich ist, wenn man arm ist und jeden Cent zweimal umdrehen muss.

Die beiden Autor/innen haben diese Binsenweisheiten (und noch viel mehr) aber hier handfest mit unzähligen Studien bewiesen. Konkret geht es um folgende Frage:

Wenn zusätzliches Wirtschaftswachstum die Menschen in den entwickelten Ländern nicht glücklicher macht (dass sie es nicht sind, ist ebenfalls bewiesen), was macht sie dann glücklicher?

Das Buch zeigt anhand vieler Studien, die sehr anschaulich in Statistiken dargestellt sind, wie sich gerechtere von weniger gerechteren Staaten in folgenden Dingen unterscheiden:

Teenagerschwangerschaften, Fettleibigkeit, Gewaltrate, Frauenunterdrückung, medizinische Versorgung, Depressionen, Anzahl der Gefängnisse, Lebenserwartung, Drogenkonsum, Bildung, uvm.

Auffallend ist, dass die Tendenz immer gleich ist: Je größer die Schere zwischen Arm und Reich in einem Staat ist, desto höher ist auch die Quantität der angesprochenen Probleme. Je gerechter eine Gesellschaft ist, desto niedriger sind die Probleme.

Die gerechtesten Staaten der entwickelten Welt sind Japan, Schweden, Finnland und Dänemark. Am untersten, ungerechtesten Ende sind die USA, Großbritannien und Portugal. Österreich und Deutschland liegen in der Mitte.

Das Fazit des Autorenpaares: Wenn die materiellen Bedürfnisse gesichert sind (was sie in den entwickelten Ländern durchschnittlich gesehen sind), kann Glück durch mehr materiellen Besitz bzw. durch mehr Wirtschaftswachstum nicht mehr erreicht werden. Die Glücksfaktoren liegen in Dingen wie: Gemeinschaft, gegenseitige Hilfsbereitschaft, soziale Sicherheit, Sicherheit des Arbeitsplatzes, gute Gesundheit, persönliche Entwicklungsmöglichkeiten, Solidarität, etc. Während in den technisch und materiell unterentwickelten Ländern durch mehr Wirtschaftswachstum noch mehr Glück und Wohlstand erzeugt werden kann, ist das in entwickelten Ländern, die alles haben, nicht mehr möglich. Es gibt eine Art Grenze dessen, was jede/r an materiellem und technischem Wohlstand zum Glück braucht.

Anhand der Statistiken lässt sich dann wunderbar beweisen, dass gesellschaftliche Gerechtigkeit massiv zum gesellschaftlichen Wohl und Glück beiträgt, ja sogar die Hauptursache dafür ist. Interessant ist auch, dass die Lebensqualität der Reichen steigt, wenn die Gesellschaft gerechter und ihr Reichtum dann weniger wird, da durch verminderte Kriminalität und anderes auch die Reichen davon profitieren – trotz weniger Reichtum.

Dass gerechtere Gesellschaften keine Utopie sein müssen, zeigen die Autor/innen dann auch durch praktische Möglichkeiten auf. Zum einen gibt es die Länder ja, die gerechter sind, was bedeutet, dass es nicht unmöglich ist. Zum anderen waren die Staaten in den 1960er Jahren oft gerechter als heutzutage. Wenn es also möglich ist, in einer Gesellschaft durch entsprechende Politik die Schere zwischen Arm und Reich aufzumachen, muss es auch durch Politik möglich sein, sie wieder zu schließen.

Verschiedene Rezepte für mehr materielle Gleichheit werden vorgeschlagen: Materielle und mitsprachemäßige Partizipation an Firmen durch Arbeitnehmer/innen – im Endeffekt heißt das, Abschaffung der Aktiengesellschaften. Die Firma soll der Belegschaft gehören, keinen überbezahlten Managern. Stärkung der Gewerkschaften und Personalvertretungen, hohe Steuern auf hohe Einkommen und Besitz, Förderung staatlicher Sozialleistungen usw.

Weiters fand ich auch interessant, dass erwiesen ist, dass Menschen, die in gerechteren Gesellschaften wohnen, eher zu Solidarität bereit sind als Menschen in ungerechten Gesellschaften. Das heißt, die gerechten Gesellschaften geben mehr Geld für Entwicklungshilfe aus und sind eher bereit sich auch für die Not anderer zu interessieren, als Menschen in ungerechten Gesellschaften. Dasselbe gilt für Umweltschutz und Konsum. Je gerechter die Gesellschaft, desto weniger Konsumwahn (weil das Konkurrenzdenken niedriger ist) und desto mehr Engagement für nachhaltiges Wirtschaften.

Das schönste Fazit war aber: Kein Staat und keine Firma braucht die Superreichen! Diese tragen letztlich kaum etwas für die Gesellschaft bei und sind langfristig entbehrlich. Das heißt, wenn Firmenchefs oder Manager abzuwandern drohen, wenn man ihnen keine Riesenboni zahlt, mag das anfangs vielleicht schmerzlich sein, auf Dauer gesehen, sind Firmen aber auch ohne teure Manager lebensfähig – und oft viel produktiver, wenn die Belegschaft selbst die Firma in die Hand nimmt.

Das Buch hätte jedenfalls nicht ich kleines Würschtel lesen sollen, sondern jede/r einzelne Politiker/in! Das Buch sollte man den Politiker/innen um die Ohren hauen. Das Wissen und die Lösungsansätze sind einfach und genial. Es braucht nur mehr den politischen Willen dazu ....

12 von 10 Punkten!

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Occam's razor

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #1 am: Dezember 30, 2010, 16:19:36 »
Danke für den tollen Bericht!

Zwei Sachen, die mir nur aufgefallen sind...
...wieso handelt das Thema des Buches vom Glück?
Glück ist doch von außen abhängig,von nicht selbst beinflußbaren Dingen/Mächten/Ereignissen?

Vielleicht würde es der Begriff "Zufriedenheit" eher treffen...

Das Zweite, was ich ein wenig bekrittel... wäre der Vorschlag auf "Superreiche", "Chefs" etc. verzichten zu können
und die "Firma" oder die Belegschaft solle derlei Funktionen übernehmen.
Sicherlich, wenn jetzt da oben wer sitzt, der tatsächlich keine Managementqualitäten hat
und einen Posten trägt, der aus nichts außer Sesselwarmhalten besteht...ja, klar.
Nur...ich bezweifle stark, daß einfach, ich sag mal, irgendwelche Leute, die sich auch noch so kräftig
engagieren, jemanden ersetzen können, der etwas von Führung und Management versteht.
Funktioniert nicht.

Interessant jedenfalls,
       ciao,
                  A.
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morgane

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #2 am: Dezember 30, 2010, 17:34:27 »
Und außerdem ist die gefahr ja nicht, dass manager abwandern, sondern firmen.

lg morgane
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Die natur der natur ist allemal übernatürlich (Seth)

Mc Claudia

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #3 am: Dezember 31, 2010, 10:21:54 »
Hi,

Glück ist hier als Lebenszufriedenheit gemeint, nicht als Glück durch z.B. Glücksspiel oder nette Zufälle.

Wegen den Firmen:

Die Autor/innen haben Beispiele von Firmen gebracht, die zugesperrt hätten, weil das Management sie aufgegeben hatte, die aber von der Belegschaft aufgekauft wurden und offenbar erfolgreich weitergeführt wurden.

Die Autor/innen plädieren gerade nicht für gewaltsame Umstürze (haut's mal den Manager raus, wir machen das schon...), sondern für gewaltfreie, Nach-und-nach-aber-konsequent-Veränderungen. Es geht nicht darum, Menschen mit Führungsqualitäten loszuwerden, es geht darum, das Firmeneigentum Menschen zu übertragen, die für die Firma arbeiten und nicht Investitoren, die nur am Gewinn (nicht aber an der Firma) interessiert sind. Wenn die Belegschaft demokratisch entscheidet, dass der Herr sowieso 10mal soviel verdienen soll wie der Normalhackler, weil der so super die Firma leitet, dann soll es so sein. Es geht den Autor/innen um einen Demokratisierungsprozess innerhalb von Firmen.

liebe Grüße

Mc Claudia
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morgane

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #4 am: Dezember 31, 2010, 10:50:58 »
Das klingt auf jeden fall gut.

lg morgane
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Die natur der natur ist allemal übernatürlich (Seth)

barbara

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #5 am: Dezember 31, 2010, 11:37:50 »
klingt in der Theorie gut - für die Praxis habe ich reichlich Bedenken.

Den meisten Leuten ist Demokratie schlicht zu anstrengend. Sie macht die Vorgänge langsamer, bringt Konflikte ins Licht, erzeugt oft lange zähe Diskussionen die nicht so leicht ein Ende finden, verlangt von allen Kompromissbereitschaft und die Fähigkeit, sowohl eine grossmütige Siegerin wie ein guter Verlierer zu sein... dazu sind doch die wenigsten bereit. Leider.  :weißnicht:

grüsse, barbara
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Occam's razor

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #6 am: Dezember 31, 2010, 12:21:14 »
Hi!

Mc Claudia, welche Firmen wurden denn genannt, die das so erfolgreich praktiziert haben?

Kann mir hiezu nur Kleinbetriebe vorstellen, wo zb. der "alte Chef" keine Lust mehr hat
und der "Werkmeister" genügend Geld zusammengespart hat um den Betrieb zu übernehmen...

Ciao,
           A.
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Mc Claudia

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #7 am: Januar 02, 2011, 20:16:58 »
Hi Occam's Razor,

S. 187 f.:

Tower Colliery in Südwales - 1995 haben dort Bergleute das Bergwerk übernommen und 13 Jahre erfolgreich geführt, bis die Zeche ausgebeutet war.

Weiters werden genannt: London Symphony Orchestra, Carl Zeiss, United Airlines, Polaroid Corporation und John Lewis Partnership (Einzelhandelskette mit 68.000 Mitarbeiter/innen und einem Jahrsumsatz von 6,4 Milliarden Pfund.

Mehrheitlich in Mitarbeiterbesitz befinden sich: Publix Supermarkets, Hy-vee Supermarkets, Science Applications International Corp. (SAIC), CH2M Hill (Ingenieur- und Baufirma), Tribune (Medienunternehmen, bringt die Los Angeles Times un die Chicago Tribune heraus). All diese Unternehmen bewegen sich um die 55.000 Mitarbeiter/innen.

Kooperativ geführt wird auch Mondragon Corporation im Baskenland. (120 Kooperativen, insgesamt 40.000 Mitarbeiter/innen, Jahresumsatz von 4,8 Milliarden US-Dollar). Dann steht da noch, dass diese Cooperation doppelt so produktiv wirtschaftet als andere spanische Firmen und die höchste Arbeitsproduktivität des Landes verzeichnet.

Geprüft hab ich diese Sachen nicht. Ich hoff aber doch, dass die Autor/innen gut recherchiert haben.  ;)

Liebe Grüße

Mc Claudia
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Occam's razor

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #8 am: Januar 02, 2011, 21:40:29 »
Hiho!

Ich möchte die Daten nicht anzweifeln, oder das Buch geringschätzen,
allerdings hat das London Symphony Orchestra einen ziemlich großen Anteil an Managern
und administrativ Tätigen...und Carl Zeiss ebenso. Zeiss (Jena) war allerdings in den 60ern unter Leitung eines Werkleiters.

Polaroid ist vielleicht auch ein etwas unglückliches Beispiel, da der frühere Eigentümer Tom Petters
ein Betrüger im großen Stil (es ging um Milliarden!) war und noch immer im Gefängnis sitzt...
...und Polaroid bekanntermaßen immer wieder Zahlungsschwierigkeiten hatte.

Ist halt schwer...mit der Statistik oder mit so Zahlen. Gerade bei lange existierenden Unternehmen.
Wenn von Unternehmen ein beliebiger (in die Zahlen passender) Ausschnitt genommen wird,
der Erfolg versprechend ist, kann damit natürlich die eigene Argumentation untermauert werden.
Carl Zeiss ist so ein Beispiel...das Unternehmen hat alleine durch seine Vielschichtigkeit  (und seine hervorragenden Produkte) und vor allem durch die Spaltung Ost/West eine einzigartige Geschichte.

Aber als Paradebeispiel für Unternehmensleitung durch Mitarbeiter finde ich es eigentlich nicht passend.

Danke für die Auflistung!!!

Ciao,
        A.
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Mc Claudia

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Re: Gleichheit ist Glück
« Antwort #9 am: Januar 03, 2011, 15:09:23 »
Schön langsam spricht's sich durch, dass Wohlbefinden auch eine politische Konstante sein muss:

http://science.orf.at/stories/1672095/
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »