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Synkretismus vs reiner Lehre

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Mc Claudia:
Hi,

ich möchte hier eine Frage aufwerfen, die immer wieder mal aktuell wird:

Kann/Darf man mehrere Religionen miteinander vermischen, zusammen praktizieren, oder nicht?

Ich bin gestern beim Surfen über diese beiden Artikel gestolpert, wo das Problem in Bezug auf Christentum und Buddhismus erläutert wird, einmal aus christlich-katholischer Sicht:

http://www.con-spiration.de/texte/2007/ruch.html

einmal aus Zen-buddhistischer (muss ich aus meiner bisherigen Kirche austreten):

http://www.zen.fuer-uns.de/index.php?menu=1

Beide Autoren sind sich einig, dass zumindest auf Dauer eine Entscheidung notwendig ist, welchem Glaubenssystem man nun folgt, weil Christentum und Buddhismus grundverschiedene Ansätze haben.

Andererseits gibt es weltweit unzählige Menschen, die offenbar nicht die geringsten Probleme damit haben, mehrere Religionen auf einmal zu praktizieren. Entweder nebeneinander oder in einer persönlichen Mischung. Und in bestimmten Teilen der Welt haben diese Mischungen durchaus auch Tradition, also „Gewohnheitsrecht“ sozusagen, wenn nicht sogar eigenständige Religionen hervorgebracht.

Ad hoc fallen mir ein:
die ganzen afro-brasilianischen Religionen, die Katholizismus mit westafrikanischen Religionen vermischen,
viele in der westlichen Welt, die, obwohl mehrheitlich christlich, auch mehrheitlich an Wiedergeburt und esoterische Versatzstücke glauben,
Japan, wo die Mehrheit Buddhist/innen sind – und die Mehrheit Shintoist/innen (für Jahreskreisfeste und persönliche Anliegen geht man zum Shinto-Priester, für Beerdigungen zum buddhistischen Mönch)
China detto, wo Chan-Buddhismus, Taoismus und Konfuzianismus zusammen mit der Ahnenverehrung eine interessante Einheit bildet
Die Native-American-Church, die christlichen Glauben und Native-American-Spiritualität zusammenbrachte.
Atheisten, die die Lehren Jesu ganz interessant finden:
http://www.atheists-for-jesus.com/
uvm.

Im neuheidnischen Bereich ist Synkretismus irgendwie das non plus ultra. Die Heid/innen, die wirklich nur einer definierten Tradition folgen, sind m.W. nicht die Mehrheit.

Es stellt sich damit auch die Frage, wie die verschiedenen (Neu)-Heidentümer zusammengehen, und wie ein Neuheidentum mit einer nichtheidnischen Tradition. Aus Recon-Sicht wird zumeist Wicca abgelehnt, weil der Hardcore-Polytheismus mit dem Polaritätsgedanken nicht kompatibel ist. Andererseits gibt’s genügend Mischformen. Und auch Christentum und Heidentum und Buddhismus und Heidentum und Hinduismus und Heidentum, etc. gehen zusammen. Am interessantesten finde ich dazu die Christian Wiccas:
http://www.christianwicca.org/

Aber egal, ob es sich um Vermischungen in den Weltreligionen handelt oder um Vermischungen in den Kleinreligionen. Die Für-und-Wider-Argumente sind dieselben:

Die Befürworter/innen von Religionsvermischungen sind oftmals liberale Geister, die schlicht und einfach kein Problem damit haben, zwei oder mehrere Religionen nebeneinander oder miteinander vermischt zu praktizieren. Vielleicht übernehmen sie ein Glaubenssystem und unterstellen diesem die anderen Kulte oder sie kreieren auch im Glaubenssystem eine persönliche neue Anschauung, die alles, was sie praktizieren zulässt. Manchmal sind Synkretist/innen es auch gezwungenermaßen, wie in den afro-brasilianischen Kulten. Offiziell ist man katholisch (um den Schein zu wahren) und inoffiziell geht man in den Voodoo-Tempel.

Ein wichtiger Grund für eine Vermischung, wenn es nicht kulturimmanent ist, ist m.E. die Unentschlossenheit oder der Wunsch, sich einfach nicht entscheiden zu wollen, weil man zwei oder mehrere Religionen oder Philosophien gleichermaßen ansprechend und erleuchtend findet. Dieser Wunsch ist durchaus legitim und sorgt für die Pluralität im religiösen Angebot.

Die Gegner des Synkretismus betonen hingegen die Reinheit der jeweiligen Lehre und warnen vor Verwässerung derselben. Dieses Argument kann man natürlich übernehmen oder aber auch „Verwässerung“ mit „Bereicherung“ oder „natürliche Entwicklung“ übersetzen. Ein wesentlich schlagkräftigeres Argument ist aber, dass oft der grundsätzliche Glaube, also das Dach einer Religion mit der zweiten (oder dritten) gar nicht zusammenpasst. Tatsächlich ist es natürlich ein Unterschied, ob man nur an einen Gott glaubt oder an zwei oder an viele oder an keinen. Es ist ein Unterschied, ob man an Wiedergeburt glaubt oder nicht, ob man an Himmel und Hölle glaubt oder nicht, ob man an die Erlösungsbedürftigkeit der Menschheit glaubt oder nicht, ob man an eine Erlöserfigur glaubt oder an Selbsterlösung, etc.

Wie dieses Dilemma von den Synkretist/innen gelöst wird, ist meist ihre persönliche Sache, und ich denke, dass den Individuen selbst der Überbau oft gar nicht so wichtig ist, sondern die Alltagspraktikabilität der Religionen, also das, was man als Volksreligion bezeichnet.

Andererseits wird’s vielleicht meist so sein, dass man einen religiösen Überbau hat (z.B. Wicca), dem dann die anderen Religionen bzw. Kulte unterstellt werden.

Beim Dilemma Monotheismus vs. Polytheismus ists dann so, dass der monotheistische Synkretist die anderen Gottheiten als Ausdruck des einen Gottes sieht, während der Polytheist im monotheistischen Gott lediglich einen unter vielen sieht.

Mein eigenes Fazit: Es ist hoch-individuell, ob Dinge zusammenpassen (können) oder nicht. Was für den einen voll harmonisch passt, lässt der anderen die Zehennägel aufrollen. So bekam ich z.B. krasses Bauchweh, als ich mal bei einem offenen Wicca-Ritual eingeladen war, und als Gott und Göttin Odin und Ishtar invoziert wurden. Am liebsten wäre ich bei dieser Mischung davongelaufen. Die restliche Gruppe war aber ganz anderer Meinung.

Was sagt Ihr zu diesem Thema? Darf alles sein, was sein kann? Oder sollte man die Religionen „rein“ halten – und wenn ja, um welchen Preis?

Denkwürdige Grüße

Mc Claudia

barbara:
ich bin davon überzeugt, dass lebendige Tradition offen sein muss für Neues. Wo es zu starre Formen gibt, fehlt es irgendwann an Bedeutung und der Bezug zur aktuellen Zeit geht verlore, Rituale werden hohl und leer, wenn sie nur noch abgeleiert werden ohne dass damit eine starke Empfindung verbunden wird.

Die eigene Tradition und Spiritualität durch beständige Veränderung der Rituale zu entwickeln, trägt auch dazu bei, sich selbst und den Platz in Familie und Gesellschaft immer neu bewusst werden zu lassen und zu definieren. All dies wird schwierig, wenn nicht jeder Mensch einer Ritualgruppe auf ganz natürliche Weise seinen Platz im Ritual finden und seine ihm eigenen Aufgaben übernehmen kann.

grüsse, barbara

Crysalgira:
@ Barbara: hm, ich sollt mir diesen Tag im Kalender anstreichen, ausnahmsweise kann ich das, was du geschrieben hast, vollinhaltlich unterstützen  :)

@ Claudia: na, du weißt, wie ich das seit langem handhabe - ja, wir feiern "unser Ding" in der alten, überkommenen Form an den alten, überkommenen Daten, haben aber keinerlei Probleme damit, Gläubige anderer Richtungen mitfeiern zu lassen und zu integrieren - uns hat es nicht geschadet und ich hoffe, den anderen auch nicht  :D
Wurde unsere Lehre dadurch verändert? Ja, sicher, ein wenig bestimmt, einfach weil wir jetzt mehr wissen als davor ....

es hilft gewaltig bei der eigenen Standortbestimmung, über den Tellerrand zu gucken, Wissen zu teilen
ich hatte an meinem Feuer auch schon ehrliche, praktizierende Christen - ich weiß nicht, wie sie das zusammengebracht haben, den Schritt zu wagen, aber mich hat's gefreut - vor allem im Gespräch danach Gemeinsamkeiten zu entdecken und die Welt wieder ein Stückchen zusammenrücken zu lassen

Crysalgira

Il_ona:
Ich würde schlicht mal fragen: Welche Religion ist eigentlich REIN, so dass man sie REIN HALTEN könnte?
Christentum etwa? Wenn ja welches davon? Judentum, Islam, die alten Heidnischen Religionen der Griechen, Römer, Germanen und Kelten - nach dem, was man heute so darüber weiß? Buddhismus oder Hinduismus? Shamanische Religionen?
Oder ist nicht jede Religion schon ein Endprodukt einer historischen Entwicklung, in der viele verschiedenen Faktoren zusammenkamen.
Sie JETZT künstlich reinhalten zu wollen funktioniert nicht, denn sie WAREN nie rein. Und auch das jetzt vorhandene ist auch nur eine Mischform, die sich traditionell zwar verfestigt hat, aber die NIE endgültig oder eindeutig war.

Giles:
letztlich schöpfen alle religionen aus mehr oder minder dem selben teich. mir scheint unser denken wurde im zweistromland geprägt und hat sich seither vielfach verzweigt, doch der stamm ist noch immer derselbe und die hauptäste auch.
demnach kann man alles mit allem vermischen, die frage ist nur was das bringt. ich persönlich vermische
a) glauben an budhistische prinzipien samt erleuchtung und so
b) mit Kabbalah, die ich für einen tantrischen weg halte und
c) die sich daraus ergebenden europäischen magischen traditionen, alles hübsch eingebettet in
d) ein polares weltbild zwischen Göttin und Gott, wobei mir das label (Wicca, Druidentum, Asatru, Awenyddiad, Vaya, etc etc) reichlich nachrangig erscheint, ergänzt um
e) philosophische prinzipien, die sich aus a) bis d) ergeben.

was mir absolut unverständlich bleibt sind weniger menschen anderer glaubensrichtungen (wow und da sind tw waccos dabei) sondern menschen, die klug und gebildet und informiert sind und denen dann jede kritik am bestehenden politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen system sauer aufstösst. ein mann hat mich einmal in einem gespräch gefragt was ich glaube, ich habs ihm erzählt und gerfragt wie das bei ihm ankommt. er sagte "es ist nicht wichtig was Du glaubst. es ist aber wichtig, dass Du glaubst" und so in der art begreife ich das auch.

schönen tag!

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