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Was bedeutet Heidentum für mich?

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Iril:
Was bedeutet Heidentum für mich?

Diese Frage war für mich knifflig. Bin ich eine Heidin? Bin ich Pagan? Wie würde ich mich selbst verorten und warum? Eigentlich etwas Selbstverständliches aber dennoch habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht. Ich habe mich selbst nur zu den seltensten Gelegenheiten als Heidin zur erkennen gegeben. 

Ich bin gläubig aber nicht an eine der anerkannten großen Religionen. Warum nicht? Warum ist es mir wichtig nicht mit ihnen in Zusammenhang gebracht zu werden? Die Bibel ist für mich ein Geschichtenbuch, den Koran habe ich nie gelesen. Vielleicht mag ich auch einfach nicht was ich aus den verschiedensten Geschichtsbüchern (auch Zeitgeschichte) über die unterschiedlichen Umsetzungen der jeweiligen Religionen lesen kann (Religionskriege, Hexenverbrennungen, Verfolgung Andersgläubiger, die Unterdrückung von Frauen,  ...) – weil diese Umsetzung nicht mit meinem Menschenbild vereinbar ist. Auch aktuelle Auslegungen der angeblichen Vorschriften (Gebote/Verbote) wie zum Beispiel über die sexuelle Orientierung oder gar die Verbannung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Sexualität,– sind mit meinem Menschenbild nicht vereinbar. Für mich hat es also sehr viel auch mit der Auslegung der Religionen zu tun warum ich sie eigentlich für mich selbst ablehne.

Aber auch sonst entspricht das Bild eines männlichen, allmächtigen Wesens nicht meinem Sinn für Gleichberechtigung als Frau. Ich fühle mich hier einfach zu wenig vertreten. Ich könnte schon eher etwas mit einem geschlechtslosen Begriff, wie zum Beispiel das Alleine, anfangen.
 
Mich stört auch sehr der strafende und belohnende Aspekt den man dem „Gott“ der Bibel nachsagt. Über den Koran kann ich nicht viel sagen, damit bin ich nicht konfrontiert gewesen und habe mich zu wenig auseinandergesetzt. Hier haben mich einfach bereits die Auslegungen der bisherigen Anhänger abgehalten mich näher damit auseinander zu setzen und auch die Sprachbarriere. Natürlich gibt es wie bei der Bibel eine Übersetzung aber auch die Bibel ist nur schwierig zu lesen und extrem langweilig (Aufzählung von Grausamkeiten und Erbfolgen).  Demnach Nein auch die Bibel habe ich nicht gelesen. Beziehungsweise nur zum Teil. Dafür habe ich eine Kinderbibel gelesen (das hat mir schon gereicht). Hat mich aber auch nicht dazu bewegt Christin zu werden.

Vielleicht aber auch einfach, weil ich als nicht getauftes Kind nicht zum Religionsunterricht der anderen katholischen Kinder durfte. Ich durfte zum evangelischen Unterricht aber ich wollte doch sowieso nur mit meiner Freundin zusammen bleiben, der Unterricht an sich war mir egal. Tja hat nicht geklappt und von da an war ich eigentlich nicht mehr im „christlichen“ Religionsunterricht.
Für mich sollte der Religionsunterricht in der Schule auch nicht unbedingt von einer Religion geprägt sein. Man sollte Kindern grundlegende Kenntnisse über die vielen verschiedenen Religionen sowie auch ethische, moralische, philosophische Themen näher bringen. Dazu braucht es mehr als einen „christlichen“ Religionsunterricht.

 Ich bin auch dafür Religion und Staat zu trennen. Die Feiertage sollten aber bleiben, sich eventuell sogar mehren – mehr Freizeit und Freiraum für die Familie, das eigene Leben und die eigene Lebensfreude.

Hier wären wir bei einem weiteren wichtigen Punkt warum ich die herkömmliche religiöse Vorstellung nicht teile: Spaß und Freude, der Genuss ist eine Sünde. Ich glaube nicht in dem Sinne an die Sünde oder den Teufel. Und da wären wir wieder bei dem strafenden Gott, der mich belohnt wenn ich „brav“ bin. „Bravsein“ wird leider nur fremdbestimmt und vielleicht will ich einfach nicht immer „brav“ sein also nach einer Definition leben, die nicht von mir mitbestimmt werden kann. Für das gemeinsame Zusammenleben in einer Gesellschaft gibt es Gesetze, die das Einhalten bestimmter Verhaltensweisen absichern. Diese Gesetze sind Menschen gemacht und sobald ein Mensch erwachsen ist, kann er durch politische Wahl die Gesetze auch mitbestimmen bzw. beeinflussen. Ich denke für mich hat die Politik diese Position zu Recht übernommen und das Gottesbild kann sich jetzt auch dadurch ändern. Es muss nicht länger die Menschen dazu anhalten sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten – dazu gibt es jetzt Gesetze und den Staat (mit all seinen Mitteln). Zu der Zeit in der die Bibel entstanden ist mag die Religion dafür notwendig gewesen sein. Heute finde ich ist sie es nicht mehr.

Das heißt letztendlich finde ich die meisten Vorstellung überholt. Für unsere Zeit nicht mehr angebracht. Die Religion hat meiner Meinung nach viel mit dem Leben zu tun und mit der Zeit in dem dieses Leben stattfindet. Also für mich ist der Kontext entscheidend. Es verändert sich einfach wozu wir Religion brauchen bzw. nutzen. Es verändern sich Vorstellungen und Lebensrealitäten. Insofern finde ich es wichtig, dass sich der eigene Glaube anpassen kann, verändern kann, offen bleibt. Ich muss heute nicht mehr an bestimmten Worten festhalten. Ja, es sind Geschichten aber ich muss nicht darauf bestehen das sie wahr sind, ich sie als einziger richtig verstehe und sie für alle heute immer noch wesentliche Bedeutung haben müssen. Ich muss nicht darauf bestehen, dass es unumstößliche Gesetze für das heutige Leben sind. Ich kann daraus viel lernen auch für das heutige Leben, wenn ich mich damit auseinandersetze und mir meine eigenen Gedanken dazu erlaube. Wenn es also dazu führt mich zum Denken anzuregen.

Glauben ist für mich eine Entscheidung, die sich aus mir selbst heraus entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt. Ich nehme mir gerne das was ich für mich selbst als wahrhaftig erfahre (ob nun mittels meines Verständnisses also mittels meines Verstandes oder mittels meiner Intuition also meiner Gefühle) und füge das in mein Glaubensverständnis ein.

Ich kann nichts mit dogmatischen Auslegungen anfangen. Ich verstehe keine Religionen, die darauf bestehen, dass alle dasselbe glauben müssen und andere „Nicht-Gläubige“ abwerten oder aufklären/bekehren wollen. Also die freie Entscheidung eines jeden Menschen untergraben.
Darum habe ich mich wohl dem „Heidentum“ zugewandt. Schließlich wurden Menschen, die nicht christlich waren von Christen oft als die „Heiden“ bezeichnet. Und irgendwie war ich nach all dem richtig froh Heidin zu sein.

Viele assoziieren dann aber gerne mit dem Begriff „Heidin“ naturreligiös, magisches Weltbild, historische Kenntnisse (das wieder aufgreifen historischer Glaubensrichtungen) – mit dem kann ich mich nicht wirklich anfreunden.
Ich werde wahrscheinlich auch der Vorstellung von Heidin als die Nächte durchfeiernde Person nicht gerecht. Mein Lebensrhythmus ist ganz anders. Ich betrinke mich auch nicht und wenn ich in meiner Umgebung von Menschen mit einem Alkoholproblem weiß, dann werden die Rituale ganz ohne Alkohol gefeiert. Bei mir werden die meisten sowieso ohne gefeiert, weil ich meistens ein Kind dabei habe.

Also naturreligiös bin ich nur insofern, dass ich mich symbolisch an Mondphasen, astronomische Kenntnisse (Laienhaft), am Jahreskreis meiner Heimat orientiere. Ich nehme mir also aus der Natur einige Symbolbilder. Ich muss aber nicht auf einem Bauernhof leben (ich wäre keine gute Bäuerin). Ich habe auch keine Lust auf einen Garten, die Gartenarbeit wäre nichts für mich. Ich wühle nicht so gerne in der Erde. Ich campe auch nicht gerne. Das Schlafen in einem Zelt kann ganz schön anstrengend sein und bietet nicht viel Komfort. Und Insekten sind etwas mit dem man mich jagen kann. Darüber gab es schon einige Lacher aber ich habe eine große Insektenphobie. Ich lebe gerne in der Stadt und bin begeistert von den heutigen Technologien wie fließend warmes Wasser, Strom, Computer.

Der Grundsatz im Einklang mit der Natur zu leben, heißt für mich auf meine Umgebung zu achten und alle Lebewesen (auch Pflanzen)  wertzuschätzen. Es heißt für mich darauf einzugehen, dass ich nicht alleine auf dieser Welt lebe und in meinem Rahmen, nach meinen Möglichkeiten zu versuchen die Welt (zählt als Gesamtes ebenfalls als Lebewesen) für alle Lebewesen lebenswert zu machen/gestalten bzw. zu erhalten.

Ich würde meine Glaubensvorstellung nicht als historisch bezeichnen oder würde mich dort auch nicht verorten. Ich bin geschichtlich nicht so interessiert wie manchmal von Menschen angenommen wird, denn es herrscht oft die Meinung vor als Heide würde doch jeder nach religiösen Vorstellungen aus der Zeit vor dem Christentum oder noch weiter leben wollen. Ich stelle dahingehend aber keine Nachforschungen an und interessiere mich dafür auch nicht wirklich. Jetzt habe ich mich wohl als Banause zu erkennen gegeben. Ich bin auch nur begrenzt empirisch wissenschaftlich interessiert. Für mich ist glauben definitiv etwas anderes als empirisch erforschbar und nachweisbar. Vieles was empirisch erforschbar und nachweisbar ist hat für mich einfach sehr starke Abhängigkeit von den Voraussetzungen und den Interessen der empirischen Forscher. Ich weiß, dass die Welt durch empirische Forschung bereichert wird aber für mich hat sie in der Religion ihre Grenzen. So auch die empirische wissenschaftliche Geschichtsforschung.
Aber irgendwie verstehe ich Heidesein auch so, dass ich davon ausgehe das mehrere Realitätsebenen von unterschiedlicher Qualität gleichwertig und gleichzeitig nebeneinander existieren können und ich die Realitätsebene je nach Notwendigkeit wechsle. So eine Art Mehrdimensionalität im Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Vorstellen. Alles hat für mich seine Berechtigung und seinen Bereich. 

Ich interessiere mich für alle möglichen Sagen, Mythen, Märchen, Legenden, Fantasiegeschichten und die darin vorkommenden Charaktere. Aber nicht in einem empirisch wissenschaftlichen an Fakten interessierten Sinne sondern aus Spaß, Leidenschaft, der Freude am Lesen. Rein aus Lust und Laune. Außerdem eignen sich viele Bilder darin als symbolhafte Darstellungen meiner Göttin bzw. meines Gottes also ihrer verschiedenen Aspekte. Mir gefällt also der Symbolcharakter und der bereichert auch meine Glaubensvorstellungen.

Ich sammle mir auch von anderen geographischen Kontexten Vorstellungen zusammen, die ich für mich passend und stimmig finde. Warum? Weil ich glaube, das Raum und Zeit Illusionen sind. In meinem Kopf, in meiner Vorstellung kann ich an jedem Ort zu jeder Zeit sein. Ich kann also mit allem Kontakt aufnehmen. Ich lebe prinzipiell nach dem was für mich funktioniert. Ich bin da sehr praktisch veranlagt.

Also im Internet fand ich unter Neuheidentum folgenden Ausschnitt aus einer Definition: „Besonders asiatische, indianische und keltische Elemente werden aufgegriffen und – ohne Rücksicht auf den historischen oder geographischen Kontext – den eigenen Vorstellungen angepasst.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Heidentum#Neuheidentum)

Dieser Definition würde ich mich anschließen. Darunter kann ich mich einreihen. Den negativen Beigeschmack einmal weglassend, der mir beim ersten Mal lesen gekommen war.

Warum muss denn immer alles eine lange Tradition haben? Außerdem hat jede Tradition auch mal klein angefangen. Nicht das ich daran interessiert wäre eine Tradition zu gründen.

Dieses Unendliche da draußen und in mir wird mir nicht böse sein, wenn ich mir mein eigenes Bild von ihm mache. Auch wenn es wahrscheinlich überhaupt nur wenig mit ihm zu tun hat. Und solange ich damit nicht irgendwelche Gier, Grausamkeit, Gewalt rechtfertige.

Insofern ja ich bin eine Heidin, einfach auch um mich zu positionieren als nicht einer der großen Religionen Angehörigen. Um mich mit anderen zu vernetzen, die „ähnliche“ Glaubensvorstellungen haben. Weil für mich Heidin sein eine freie Entscheidung ist und zu meiner Selbstbestimmung dazu gehört. Die Unterbegriffe Hexe, Schamanin, Magierin treffen auf mich nur begrenzt zu (wobei ich von allem ein bisschen was in meine Vorstellungen integriert habe). Insofern tendiere ich schon mehr mir meine eigenen Namen zu geben, die eine Seelenfamilienzugehörigkeit und meine Ziele ausdrücken. Dazu zählt der Name Silfboga aber auch Bomwaijar (beides Resultate meiner Beschäftigung mit Runen).
 
Eines ist mir als Heidin noch wichtig – das der Glauben lebendig sein kann, sich verändern kann. Ich kann mich verändern und damit auch das woran ich glaube. Ein wesentliches Element des Heidentums ist für mich damit Veränderung.

Was bedeutet bzw. ist Heidentum oder Neuheidentum für mich?

* hat dazu beigetragen das Spektrum von Religion zu erweitern,
* es bietet Raum für eigene Interpretationen und Glaubensvorstellungen, den eigenen Zugang zum Göttlichen bzw. zum Selbst/ der eigenen Spiritualität
* es fördert und fordert selbst zu denken, selbst zu fühlen, selbst zu entscheiden, selbst zu wählen – es ermöglicht selbst zu entscheiden was wirklich dem eigenen Wesen am besten entspricht
* es lässt Raum für die Vielfalt menschlicher Vorstellungen von Religion und Glauben (was beides nicht dasselbe sein muss)
* es lässt Raum für die Vielfalt menschlicher Lebenswirklichkeiten, Lebensbedürfnissen und Lebenskonzepten
* es ist ein Sammelsurium vielfältiger Meinungen, unterschiedlichster Menschen, verschiedenster Sichtweisen, Methoden, Herangehensweisen
* ein Oberbegriff
* Veränderung und Anpassung

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