Feuerkreise

Der äußere Kreis (für Gäste sichtbar) => Philosophischer Pavillon => Thema gestartet von: Mc Claudia am Oktober 11, 2010, 16:42:38

Titel: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Oktober 11, 2010, 16:42:38
Liebe Mit-User/innen,

mir macht schon längere Zeit Gedanken, inwieweit, nach welchen Prinzipien, und ob überhaupt Ideen, Philosophien, Regeln, Ideologien (oder sogar Religionen?) auf alle Menschen auf der ganzen Welt anwendbar, also universalisierbar sind. Mit großem Interesse verschlinge ich gescheite Bücher und Artikel über die Menschenrechte, über Religionen, Fundamentalismen, Religionskritik.

Die meisten neuen Heid/innen, die ich kenne - mich inbegriffen - halten nichts von Missionierung. Auch liberale Richtungen in etablierten Religionen haben's nicht mehr so mit der Allgemeingültigkeit und mit dem Absolutheitsanspruch ihrer Reli. Und trotzdem - die Welt ist ein globales Dorf, per TV und Internet erfährt man binnen kürzester Zeit über alle möglichen Verbrechen quer über dem Erdball. Die Augen davor zu verschließen geht heute nicht mehr. Die Verantwortung der Machthabenden hat sich globalisiert.

Globales Denken ist aber nicht neu. Schon Diogenes (der mit dem Fass) hat gesagt, er sei ein Weltbürger. Klassische Philosoph/innen haben sich Gedanken drüber gemacht, was den Menschen an sich ausmacht, und wie die verschiedenen Kulturen und Religionen zusammengehen können. Das heißt, schon in der klassischen Antike haben einige kapiert, dass die Welt nicht an Griechenlands (oder Roms) Grenzen aufhört, und dass dahinter auch Menschen leben.

Jetzt muss man sich natürlich fragen, wenn ich ein Verbrechen schlimm finde, warum finde ich es schlimm? Gibt es eine Maxime, einen kategorischen Imperativ, eine Grundregel, Tugenden, Gefühle, nach denen ich mir mein Urteil bilde, nach denen ich versuche, selbst zu handeln? Wahrscheinlich wird jede/r, der/die kein Soziopath/in ist, mit ja antworten.

Jetzt geht es darum, für wen diese meine Maxime gelten soll. Also nehmen wir an, ich habe eine Maxime, die ich so toll finde, dass ich mir vorstellen kann, dass damit der Menschheit insgesamt geholfen ist, wenn sie sie beherzigen würde. Das tue ich auch, und wende meine Maxime auf alle Menschen zu allen Zeiten an. Damit sehe ich meine Maxime als universalistisch an. Das heißt, ein Verbrechen, das ich für ein solches halte, ist dann immer ein Verbrechen, egal ob bei den alten Kelten oder im 21. Jhdt., egal ob in Somalia oder in Österreich.

Oder bin ich relativistisch? Das heißt, bin ich der Meinung, dass meine Maximen, die ich für ganz richtig und gut finde, nur für mich, oder höchstens für meinen Staat, meine Gruppe, die EU, die westliche Welt gelten, und die keinerlei Anspruch auf Universalität haben, weil es keine Möglichkeit gibt, universalistische Ideen zu bilden, weil jede Kultur anders ist? Das heißt, ich bin der Meinung, dass ich, weil ich auch nur Kind meiner Kultur bin, es unmöglich schaffen kann, über mich selbst hinauszudenken, um verallgemeinerbare Ideen zu denken. Das heißt, was in meiner Kultur ein Verbrechen ist, werde ich dulden, wenn es in einer anderen Kultur passiert, wenn es dort als Heldentat gilt, weil es ansonsten eurozentrisch oder ethnozentrisch wäre (und wer bin ich schon, dass ich über andere urteilen darf).

Die Debatte ist eine große und nicht gerade einfache.

Was mich in erster Linie interessiert: Glaubt Ihr, dass es Regeln, Normen, Ideen, Ideologien, Philosophien oder viell. sogar Religionen gibt, die Ihr als dermaßen toll und bar jeden Makels seht, dass Ihr der Meinung seid, mit deren Einhaltung wäre allen Menschen auf der ganzen Welt geholfen? Habt Ihr also in Eurem Ideenkatalog Dinge, die Ihr universalisieren würdet? Wenn ja, welche sind das? Und, warum würdet Ihr sie universalistisch sehen? Und – angenommen, Ihr hättet die Macht, wie würdet Ihr widerwillige Menschen dazu bringen, Euren Ideen zu folgen?

Das interessiert mich in erster Linie. Wenn Ihr eher zu den (Kultur)relativist/innen gehört, würde mich interessieren, wie Eures Erachtens ein globales Zusammenleben funktionieren soll, wenn es unmöglich ist, gemeinsame Werte zu formulieren.

Das alles ist theoretisch. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass weder die Menschenrechte noch sonstwelche guten Ideen irgendwo so verwirklicht sind, dass man die Hände in den Schoß legen könnte. Und es ist mir vollkommen klar, dass weder ich, noch Ihr genügend Macht haben, um unsere Ideen da jetzt großartig durchsetzen zu können. Und es ist mir auch klar, dass gute Ideen oft missbraucht wurden / werden. Es ist vielmehr ein Gedankenspiel. Nachdenken, was wäre wenn – alle Menschen nach der eigenen tollen Maxime leben würden?

Meine eigene Antwort gebe ich in einem der folgenden postings.

So, jetzt bin ich aber auf Eure Antworten neugierig!

Liebe Grüße

Mc Claudia
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 11, 2010, 17:55:19
Hi mc. claudia!
Das ist eine gute und interessante frage, mit der ich momentan auch umgehe, auch in bezug aug einen bestimmten thread  ;)
Ich bin für mich zu dem schluss gekommen (und der ist jetzt wirklich völlig ideologiefrei), dass es bezüglich dieser frage eine gemeinsamkeit in allen religionen gibt, aber, dass man für die formulierung dieser regeln keine religion braucht. Das schaut ungefähr so aus:

- jeder mensch sollte, innerhalb gewisser grenzen, die wiederum ausformuliert sein müssen), frei sein können in gedanken, worten und handlungen, soweit es nicht das gleiche recht seiner mitmenschen - und geschöpfe tangiert. In etwa *tu was du willst und schade keinem*.

- das leben ist wertvoll und muss geschützt und respektiert sein. Das gilt auch für tiere und pflanzen - auch für die, die uns als nahrung dienen. Das würde natürlich einen wesentlich anderen umgang mit sog. *nutztieren* bedingen. Der umgang mit unserer lebenswelt ist grundlegend. Ausbeutung in jeder form ist verbrecherisch.

- keine ideologie, keine religion, kein politisches system hat das recht, diese grundrechte der menschen einzuschränken - sonst kehrt sich der grundsätzliche wert einer religion in ihr gegenteil um. In etwa: *kein zweck heiligt die mittel*

Das wär's eigentlich. Zum größten teil sind diese maximen in den menschenrechten ausformuliert. Ich finde sie gültig für alle menschen, weil sie ein menschenwürdiges leben ermöglichen.

lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 11, 2010, 19:47:04
Hallo McClaudia

"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist meine Maxime, und auch wenn sie aus dem Christentum stammt, so kann und soll sie religionsunabhängig angewendet werden.

"Liebe"
lese ich als: achte und respektiere die Mitmenschen und andere Wesen; ehre sie als was sie sind; lerne sie kennen; lerne ihre Motive verstehen; lasse ihnen ihre Freiheit, auch ihre Freiheit, Dinge zu tun, die ich selbst als dumm oder unsinnig oder gefährlich erachte. Dies lässt auch grosse Flexibilität in Anbetracht konkreter Situationen, besonders ungewöhnlicher Situationen, auch in der Begegnung mit anderen, fremden Kulturen, wo meine Handlungen oder Nicht-Handlungen immer vom konkreten Fall abhängen - und diese Beurteilungen können sich durchaus im Lauf der Zeit verändern.

"deinen Nächsten"
sollst du lieben - also jene Person, jenes Wesen, mit dem ich gerade zu tun habe. Ja, es geschehen schlimme Dinge im Kongo, in Tschetschenien, in der Wüste Australiens und an vielen anderen Orten - aber ich habe nicht die Kraft, alles darüber zu lernen und mich zu engagieren. Wenn ich aber eine durstige Zimmerpflanze sehe, so kann ich ihr allerdings etwas Wasser geben, in dem Moment ist sie "meine Nächste". Wenn ich im Laden meinen Kaffee kaufe, kann ich daran denken, dass ich allen eine Altersvorsorge und Krankenversicherung gönne, und kaufe Fair Trade - in dem Moment sind die Unbekannten, die meinen Kaffee zubereiteten, "meine Nächsten". Ich kann dort, wo ich bin, meine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, mit jenen Menschen und Wesen, mit denen ich gerade in Kontakt bin. und das reicht.

"wie dich selbst"
 - nicht mehr, nicht weniger.

Jegliche Art von Zwang auszuüben, den andere Menschen dazu bringen könnte, diesem Prinzip zu folgen, verbietet sich ja wohl vom Prinzip her selbst. Liebe verführt, lockt und sagt "sieh doch, es ist so schön" - kommen muss jeder selbst, die wohltuenden Wirkungen dieses Prinzip muss jeder selbst erfahren.

ich kann noch nicht mal sagen, mit der Einhaltung des Prinzips wäre allen geholfen - meiner Meinung nach lieben alle schon sowieso sich selbst gleich wie ihre Nächsten - ebenso wie jeder sich selbst gleich hasst, verachtet, erfreut, erregt, beleidigt... wie seine Nächsten. Was du an deinem Nächsten tust, tust du an dir selbst. Und auch ein Streben nach Liebe und Geliebt-Werden hat wohl jeder Mensch - auch wenn es manchmal mit der Ausführung hapert, auch wenn es immer wieder Missverständnisse und Irrtümer in Bezug auf die Liebe gibt, auch wenn die Emotionen mal durchknallen oder die Gedanken zu starr werden... aber suchen tun doch alle nach der Liebe. alle wollen Liebe.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: dagaz am Oktober 12, 2010, 03:55:09
diese verhaltensregeln bezw -muster sind eigentlich von der evolution in uns angelegt. leider sind wir von dieser als kleingruppenwesen und nicht für ein zusammenleben in großstädten ausgerüstet, d.h., die genetische programmierung zu kooperation und gegenseitiger hilfe funktioniert bei unserer jetzigen lebensweise nur bedingt, eben in kleinen freundeskreisen (wozu durchaus auch vereine bis zu einer gewissen größe gehören mögen).

als das klar wurde, weil die leute begannen, einander zu beklauen, berauben, vergewaltigen, auszubeuten, umzubringen,  entstanden religionen, die nächstenliebe - eigentlich die umlegung des hordenverhaltens auf die masse - predigten, um das funktionieren der gesellschaft zu gewährleisten - und gesetze, um die in schach zu halten, die auf die regeln pfiffen.

wie auch immer, 2100 sind wir bestimmt keine 6 oder mehr milliarden mehr, wenn wir so weiter machen. dann geht sichs vielleicht wieder mit dem paläolithischen verhalten wieder aus, ohne dass lang regeln - seien sie religiös oder institutionell - aufgestellt werden müssten.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Sambuca am Oktober 12, 2010, 09:19:26
Zitat von: "morgane"
- jeder mensch sollte, innerhalb gewisser grenzen, die wiederum ausformuliert sein müssen), frei sein können in gedanken, worten und handlungen, soweit es nicht das gleiche recht seiner mitmenschen - und geschöpfe tangiert. In etwa *tu was du willst und schade keinem*.

- das leben ist wertvoll und muss geschützt und respektiert sein. Das gilt auch für tiere und pflanzen - auch für die, die uns als nahrung dienen. Das würde natürlich einen wesentlich anderen umgang mit sog. *nutztieren* bedingen. Der umgang mit unserer lebenswelt ist grundlegend. Ausbeutung in jeder form ist verbrecherisch.

- keine ideologie, keine religion, kein politisches system hat das recht, diese grundrechte der menschen einzuschränken - sonst kehrt sich der grundsätzliche wert einer religion in ihr gegenteil um. In etwa: *kein zweck heiligt die mittel*
Deine 3 Grundsätze erscheinen mir optimal Morgane. Damit ist wirklich alles abgedeckt. Bis zur Verwirklichung ist es aber noch weit und bedarf ein ständiges Hinterfragen seiner Handlung, denn selbst wenn man theoretisch geistig so human ist, im Alltag kommt immer wieder das Triebverhalten-Echsenhirn durch.
Zitat von: "dagaz"
wie auch immer, 2100 sind wir bestimmt keine 6 oder mehr milliarden mehr, wenn wir so weiter machen. dann geht sichs vielleicht wieder mit dem paläolithischen verhalten wieder aus, ohne dass lang regeln - seien sie religiös oder institutionell - aufgestellt werden müssten.

Momentan lese ich ein Buch in dem behauptet wird, erst durch das Schwarz- Weiss Denken, das sich vor 5 tausend Jahren entwickelt hat, entstand der Gedanke von der Abgetrenntheit des Göttlichen. Doch erscheint es mir, als würde dieses Denken erst den Mensch ausmachen und seine geistigen und handwerklichen Fähigkeiten ermöglichen. Mal abgesehen, dass 5.000 Jahre, als Zeitspanne, sehr kurz sind.

Was zu erwünschen wäre, ist ein erneuerter geistiger Sprung, der weg vom Trieb- Hirnverhalten zu reinen Hirnverhalten führt.  :gruebel: Andrerseits, mir fällt das Märchen von dem Fischer und seiner unbescheidenen Frau ein. Gibt auch ähnliche Geschichten in der Mythologie. :(
Leute ich weiß nicht wie es euch geht, aber stapfen wir nicht alle durch die Wüste?
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 12, 2010, 09:59:54
Mir spukt immer wieder der *kategorische imperativ* durch die hirnwindungen. Wenn ich ihn aber ganauer betrachte, finde ich ihn aber eigentlich zu kategorisch  :rolleyes: und zu wenig allgemein gültig für alle kulturen. Denn mein handeln würde sich wohl kaum als maxime für z.b. einen moslem oder einen buddhisten oder einen juden u.a. eignen. also *kategorischer imperativ* abgelehnt, zumindest für mich  ;)

lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 12, 2010, 10:02:31
Zitat von: "Sambuca"
Was zu erwünschen wäre, ist ein erneuerter geistiger Sprung, der weg vom Trieb- Hirnverhalten zu reinen Hirnverhalten führt.  

Hallo Sambuca

das ist etwas, was ich ganz sicher nicht wünsche. Ich bin ein körperliches Wesen, und das ist gut so - mitsamt den Überlebensinstinkten und den Trieben, die zu diesem Körper gehören. Jene Erfahrungen, die mein Leben reicher machten, hatten alle mit Denken und Vernunft herzlich wenig zu tun... sondern viel mehr mit einfach mal machen.

Zitat von: "Sambuca"
Leute ich weiß nicht wie es euch geht, aber stapfen wir nicht alle durch die Wüste?

ich nicht. mein Lebensgefühl ist eher das von Alice im Wunderland.  ;)

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Giles am Oktober 12, 2010, 10:13:51
Zitat von: "Sambuca"
Zitat von: "morgane"
Was zu erwünschen wäre, ist ein erneuerter geistiger Sprung, der weg vom Trieb- Hirnverhalten zu reinen Hirnverhalten führt.  :gruebel: Andrerseits, mir fällt das Märchen von dem Fischer und seiner unbescheidenen Frau ein. Gibt auch ähnliche Geschichten in der Mythologie. :(
Leute ich weiß nicht wie es euch geht, aber stapfen wir nicht alle durch die Wüste?

einen sprung wünsche ich mir auch, einen in der entwicklung. als "reines hirnverhalten" würde ich das eher nicht verstehen, sondern als synthese von anima und animus / ratio und intuition / etc etc, nach überwindung der bisher gültigen antithese sozusagen.
genau die vorbereitung so eines sprunges erleben wir gerade, wir können rundum schauen wie dinge aufbrechen, sich entwickeln, blühen. gedanken im großen sind toll, laden zum träumen. lasst uns auch gärtner im kleinen sein, im täglichen erleben die sinn-findung erleben. der rest kommt dann schon : )
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 12, 2010, 14:20:13
Zitat von: "Giles"
Zitat von: "Sambuca"
Zitat von: "morgane"
Was zu erwünschen wäre, ist ein erneuerter geistiger Sprung, der weg vom Trieb- Hirnverhalten zu reinen Hirnverhalten führt.  :gruebel: Andrerseits, mir fällt das Märchen von dem Fischer und seiner unbescheidenen Frau ein. Gibt auch ähnliche Geschichten in der Mythologie. :(
Leute ich weiß nicht wie es euch geht, aber stapfen wir nicht alle durch die Wüste?

Bitte, *aufzeig*, das war nicht ich. Das war Sambuca. :)

lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Oktober 12, 2010, 16:00:17
Hi,

wow, danke schon mal für die interessanten Ideen! Ich werd aber erst mal meine eigenen formulieren, bevor ich mich in die Debatte werfe:  ;)

Es gibt bei mir auch einige Dinge, die ich universalistisch sehe, und einiges, was Morgane vorgebracht hat, kann ich da vollinhaltlich unterschreiben.

Eine Kulturrelativistin bin ich nicht. Natürlich sollte man Respekt haben vor Traditionen, Lebensweisen, Kulturen, Religionen. Allerdings nicht auf Kosten der Individuen darin, die u.U. durch ebendiese Religionen, Kulturen, Traditionen, Lebensweisen ein absolutes Nachsehen, Nachteile haben, oder deren Würde sogar damit beschnitten wird. (Würde ist – im Gegensatz zu Ehre – etwas, das nach der Naturrechtslehre allen Menschen automatisch eigen ist und das man auch nie verlieren kann.)

In einem spannenden Buch über die Menschenrechte und die Religionen, das ich grad les, argumentiert die Autorin recht plausibel gegen den Kulturrelativismus. Dieser behauptet ja, dass alle Moral und Ethik nur kulturbedingt ist und daher nicht auf andere Kulturen umgelegt werden kann, weil das nichts anderes wäre als Kulturimperialismus. Der Kulturrelativismus geht davon aus, dass es nicht möglich ist, losgelöst von der eigenen Kultur, transzendierte Ideen zu entwickeln, die für alle Menschen gelten könnten. Im Extremfall heißt das, dass jede Moral in jeder Kultur gleich gut ist, und keine Kultur das Recht hat, über (vermeintliche) Fehler der anderen Kultur zu urteilen, weil man der kritisierten Kultur nicht angehört, sie also nie verstehen kann. Man sollte also die Kulturen in ihrem So-Sein immer respektieren, auch die Dinge, die man selbst als verwerflich sieht.

Einige Kritikpunkte nun, die die Autorin auch bringt:

Zum einen ist die absolute Toleranz gegenüber anderen Kulturen auch ein westliches Konstrukt und kann lt. Kulturrelativismus damit nicht verallgemeinert werden.

Weiters würde absolute Toleranz zur Herrschaft der Intoleranten führen, denn die Intoleranten tolerieren ja die Toleranten zumeist nicht.

Weiters haben meist Herrschende in restriktiven Systemen was gegen die Menschenrechte einzuwenden, da diese ihre Macht beschneiden würden. Früge man die Opfer des Systems, sähe die Sache wahrscheinlich anders aus.

Weiters sieht der Kulturrelativismus Kultur sehr monolithisch. An die Grenzen stößt die Idee des „ich bin in einer Kultur, also bin ich“ dann, wenn es innerhalb der Kultur Einzelne oder Gruppierungen gibt, die sich gegen die Kultur stellen oder ganz anderen Ideen entwickeln. Das antike Griechenland z.B. war eine recht einheitliche Kultur (mit einigen Unähnlichkeiten), die verschiedenste Philosophien hervorbrachte. Das geht aber nicht, wenn der Mensch nur ein kulturelles Wesen ist ohne individuelle Denküberschreitungen vornehmen zu können. Dann hätten lauter gleiche Philosophien entstehen müssen.

Weiters entwickeln sich ja Kulturen. Wenn also der Stamm xy im Sudan beschließt, die Beschneidung von Mädchen aufzugeben, hat er ja plötzlich eine andere Ethik als vorher, obwohl er derselbe Stamm geblieben ist. Kultur und Ethik sind also sehr flexibel.

Und was ist mit den Menschen, die mehrere kulturelle Hintergründe haben? Oder mit Menschen wie z.B. Salman Rushdie, die sich durch Selberdenken von der angestammten Kultur/Religion lossagen?

Bei allem Respekt für kulturelle Unterschiede bin ich universalistisch, wenn es um die Menschenwürde geht. Ich finde die Idee der Menschenrechte eine der besten Ideen in der Menschheitsgeschichte, weshalb es sie sind, die ich in meiner Philosophie für absolut setzen würde. Hier schließe ich bei Morgane an.

Das ist meine „Bibel“, die m.E. für alle Menschen gilt:

http://de.wikisource.org/wiki/Allgemein ... chenrechte (http://de.wikisource.org/wiki/Allgemeine_Erkl%C3%A4rung_der_Menschenrechte)

Natürlich sind einige der Rechte nicht überall auf der Welt umsetzbar, weil die Voraussetzungen fehlen. Das Recht auf Arbeit und Urlaub ist in einer subsistenten Stammesgesellschaft eher unbedeutend. Aber abgesehen von solchen Kleinigkeiten kann ich an diesen Artikeln kaum etwas aussetzen.

Der Vorwurf, dass die Erklärung der Menschenrechte westlich sei, ist unbegründet, da bei der Ausformulierung Menschen verschiedener Nationalitäten und Religionen dabei waren.

Zu meinen eigenen Fragen:

Und, warum würdet Ihr sie universalistisch sehen?

Weil sie von verschiedenen Menschen verschiedener Kulturen ausformuliert wurden im Bestreben, allen Menschen, unabhängig ihrer Religion, Geschlecht, Herkunft, Ethnie, etc. eine grundsätzliche Würde und damit verbundene Rechte und individuelle Freiheiten zuzugestehen. Es geht um das Recht des/r Einzelnen, sich gegen Übergriffe von Machthabenden verteidigen zu können. Die Machthabenden sind zumeist als Staat sichtbar, können aber auch andere sein (z.B. Familienoberhaupt, Stammesführer, Eltern, Firmenchefs, etc.)


Und – angenommen, Ihr hättet die Macht, wie würdet Ihr widerwillige Menschen dazu bringen, Euren Ideen zu folgen?

Menschenrechte kann man nicht von oben diktieren. Das Gefühl, menschenwürdig behandelt werden zu wollen, muss von unten kommen. Von oben kann (und muss) ich dann dafür sorgen, dass Opfer von Menschenrechtsverletzungen sich Gehör verschaffen und Täter/innen zur Verantwortung gezogen werden. Aufklärung, Bildung, Erziehung der Menschen zu selberdenkenden Individuen wären meine „Waffen“ im Kampf gegen Menschenrechtsverletzungen. Diese Dinge müssen einer internationalen Gemeinschaft (z.B. UNO) unterstellt sein. NGO’s muss es geben, um den Machthabenden auf die Finger zu schauen.


Soweit zu den Menschen.

Morgane hat noch die Tiere und Pflanzen angesprochen. Ein respektvoller Umgang mit der Natur und den Tieren ist auf jeden Fall wichtig. Und da Leid immer Leid ist, egal wann und wo, würde ich auch Tierquälerei und absichtliche Umweltzerstörung (um sich auf Kosten anderer zu bereichern) dazuzählen zu einer Ethik, die man universalisieren kann.

Gerade Umweltzerstörung greift ja oft wieder in die Menschenrechte ein. Wenn ein Multi-Konzern Regenwälder abholzt, die dortigen Menschen als Lebensraum dienen, werden die ja in ihren Menschenrechten beschnitten.

Soweit mal zum ersten.

Liebe Grüße

Mc Claudia
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Nachteule am Oktober 12, 2010, 16:40:46
Ein sehr spannendes Thema. Bei mir zuhause finden solch ähnliche Gespräche mit meiner Tochter statt, die sich mehr und mehr mit solchen und anderen Themen auseinandersetzt. Allerdings kennen wir so nicht die direkten Begrifflichkeiten. Wie heißt denn das Buch, das Du da gerade liest, McClaudia?
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 12, 2010, 18:03:35
ich bin da ziemlich pragmatisch, denn ich frage mich: *was brauchen alle menschen gleichermaßen, unabhängig von kultur und lebensweise?*

1. ausreichende nahrung + sauberes wasser
2. ein (gemütliches) dach über dem kopf
3. befriedigende soziale beziehungen
4. entfaltungsmöglichkeiten (sinnvoll erlebte arbeit, bildung, unterhaltung)
5. sinn

Das würde ungefähr der maslow - pyramide entsprechen und kann in jeder kultur entsprechend der kulturellen und geografischen besonderheiten in verschiedenen formen gelebt werden. So wird z.b. ein gemütliches haus in den schweizer alpen anders aussehen als in nordafrika, soziale beziehungen in westlichen kleinfamilien anders als bei mongolischen nomaden usw. aber grundsätzlich sind die bedürfnisse gleich.
http://www.google.at/imgres?imgurl=http ... CCUQ9QEwAg (http://www.google.at/imgres?imgurl=http://www.gswseminare.de/service/tipps/tipps/maslow_pyramide.gif&imgrefurl=http://www.gswseminare.de/service/tipps/tipps/misserfolgs-m-m.html&h=354&w=448&sz=45&tbnid=KE59WldsehN5aM:&tbnh=100&tbnw=127&prev=/images%3Fq%3Dmaslow%2Bpyramide&zoom=1&q=maslow+pyramide&usg=__5dhjiKOsq5s3JArpnOj7EYZgdSM=&sa=X&ei=mIa0TNpJ37mMB9XdsJkH&ved=0CCUQ9QEwAg)
lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Oktober 13, 2010, 15:46:00
Hi,

@Morgane:

Sehe ich auch so. So ungefähr geht ja auch die utilitaristische (empirische) Begründung für die Menschenrechte (o.ä.). Die Autorin des Buches, das ich grad les, neigt aber eher der metaphysischen Begründung zu, also der Naturrechtslehre, die ungefähr im Art. I. der Menschenrechtserklärung verankert ist (alle Menschen sind von Natur aus mit Vernunft und Gewissen begabt, weshalb ihnen auch gleiche Rechte zustehen.) Sie hat einige Gründe gegen die empirische Begründung gebracht, die ich aber nicht ganz durchblicke. Auf jeden Fall darf man argumentativ einen Sollen-Satz (alle Menschen sollen gleiche Rechte haben) nicht von einem reinen Ist-Satz (die meisten Menschen streben nach Gerechtigkeit/Freiheit/Würde) ableiten. Andererseits könnte man eine zweite Prämisse einbauen:

1. die meisten Menschen streben nach Freiheit/Würde/Gerechtigkeit
2. Was die meisten Menschen anstreben, ist gut
Conclusio: alle Menschen sollen gleiche Recht haben

(wenn ich das da grad richgit verstanden habe:)

http://www.gavagai.de/themen/HHPT06.htm (http://www.gavagai.de/themen/HHPT06.htm)

Bei der metaphysischen Begründung wird eine unumstößliche Vorannahme gesetzt, die empirisch nicht wirklich bewiesen werden kann: nämlich die Gleichhaftigkeit aller Menschen in ihrer Anlage zur Vernunft und Gewissen. Darauf basieren dann die Menschenrechte.

Gut, wie auch immer man sie begründet, ich finde beide Ansätze voll OK.  :)

@Nachteule:

Ich werds sicher noch in die Bibliothek hier schmeißen, hier vorab:

http://www.amazon.de/product-reviews/3466368227 (http://www.amazon.de/product-reviews/3466368227)

http://www.medienverantwortung.de/wp-co ... %B6sel.pdf (http://www.medienverantwortung.de/wp-content/uploads/2009/07/20100720_IMV-Rez_Ceming-K%C3%B6sel.pdf)

Da ich erst am Anfang bin, kann ich noch nicht viel sagen.

liebe Grüße

Mc Claudia
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 14, 2010, 09:52:02
Hi mc. claudia!
Dieses streben nach würde und gerechtigkeit ist mir sehr gut nachvollziehbar. Es dürfte gleich nach den basalen bedürfnissen nach nahrung und wärme kommen. Waren doch sogar die insassen von KZs, trotz ihres ständigen hungerns und frierens, darum bemüht, sich ein klein wenig menschenwürde zu erhalten, obwohl genau DAS das bestreben der herrschenden war, sie zu *untermenschen* zu machen und ihnen ihre würde zu nehmen.

Kürzlich sah ich in ARTE einen bericht über (ja, welches afrikanische land war das nur wieder :gruebel: ?). Da haben frauen, die von ihren männern nach vergewaltigungen verstoßen, geschlagen und auf andere weise unterdrückt worden waren, ein eigenes frauendorf gegründet, mit grund und boden, um sich selbst erhalten zu können. Die fähigkeit, für ihr eigenes überleben sorgen zu können, hat sie selbstbewusst gemacht. Das dorf blüht und gedeiht.

Ich denke daher, dass diese berühmte maslow - pyramide eigentlich ein kreis ist, wo man an jedem punkt ansetzen kann, um ein menschenwürdiges leben zu gewährleisten. Die bedürfnisse lassen sich eigentlich nicht voneinander abgrenzen. Sie alle sind unverzichtbar.

lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 14, 2010, 10:54:07
Ha, gefunden!
http://www.spiegel.de/panorama/gesellsc ... 55,00.html (http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/0,1518,643155,00.html)
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 14, 2010, 12:32:40
Hi, Morgane!

Nur kurz zur Maslowschen Bedürfnispyramide.
Da gehts nicht um Abgrenzung der Bedürfnisse zueinander,
sondern um Priorisierungen.
Erst wenn das untere erfüllt ist, kann sich die Person dem nächsten widmen.
So wäre eine Kreisdarstellung auch nicht sinnvoll,
außer der Kreis wäre in eine Richtung verlaufend, wieder mit ansteigenden Kategorien....
...wäre aber mißverständlich und so sehe ich das nicht sinnig.

Das Modell selbst ist so beliebt wegen seiner Einfachheit.
(Es gibt deren Modelle viele.)
Natürlich nicht umstritten und widersprüchig in einige Belangen.
Aber zur Verdeutlichung (zum Beispiel mit einem Klienten im westlich-orientiertem Umfeld) und
im weiteren zur Anregung von Verhaltensänderungen sinnvoll.

Ciao,
         A.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 14, 2010, 12:40:38
Zitat von: "Occam's razor"
Erst wenn das untere erfüllt ist, kann sich die Person dem nächsten widmen.
So wäre eine Kreisdarstellung auch nicht sinnvoll,
außer der Kreis wäre in eine Richtung verlaufend, wieder mit ansteigenden Kategorien....
...wäre aber mißverständlich und so sehe ich das nicht sinnig.

Ein interessantes Detail - was möglicherweise als Kreis oder vielleicht besser dreidimensional als Spirale gezeichnet werden könnte: Wenn es um Selbstverwirklichung geht, sind Menschen bereit, auf sehr viele andere Bedürfnisse - auch Grundbedürfnisse - weitgehend zu verzichten. Manchmal bis hin zum Leben, wie zB bei Alpinisten häufig ist und was auch alle wissen: die Berge behalten immer wieder mal ein paar Zehen, Finger und auch ganze Bergsteiger zurück...

solche Modelle können wohl nur dann sinnvoll sein, wenn sie relativ frei und locker gehandhabt werden. Menschen verändern sich, entwickeln neue Bedürfnisse, geben alte Bedürfnisse auf, verändern durch neue Situationen ihre Prioritäten, etc - da kann wild quer durch die Pyramide hindurch geturnt werden.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 14, 2010, 12:54:03
Hi, Barbara!

Ein Alpinist, der bewußt (!) auf seine Grundbedürfnisse verzichtet wäre in der Maslowschen Bedürfnispyramide
auf den obersten Stufen zu finden.
Das ist eben gerade ein "Luxus", den sich Leute, die krank sind, alleine, kein Einkommen haben, von etwaigen
Gefahren bedroht werden und tatsächlich um ihre Existenz kämpfen müssen...nicht leisten können.

Solche Modelle sind nicht sinnvoll, wenn sie frei interpretiert werden.
Das wäre in etwa so...wie wenn ein Autofahrer das Rot an der Ampel frei für "ich darf fahren" interpretieren würde.

Ciao,
         A.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: morgane am Oktober 14, 2010, 13:25:39
Hi occam's razor!
Genau deshalb habe ich das beispiel der KZ häftlinge gewählt. An ihnen - oder an manchen von ihnen - zeigt sich doch, dass der wunsch nach würde auch dann besteht, wenn die basisbedürfnisse nicht oder kaum befriedigt sind. Deshalb habe ich daraus geschlossen, dass das modell eben nur ein modell ist und nicht die wirklichkeit abbildet.

lg morgane
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 14, 2010, 13:58:43
Hi, Morgane!

Es werden auch bei ehemaligen KFZ-Häftlingen andere Wünsche vorgeherrscht haben,
als der Wunsch die Würde zu erhalten. Gerade in so extremen Situationen und unter derartigen
Umständen wird der Einzelne viele Wünsche gehabt haben, oder sich mit der oder jenen Hoffnung
aufrecht erhalten haben....

...allerdings kann deswegen nicht gemeint werden, die Maslowsche Pyramide,
die eben ein bestimmtes Modell ist, welches Prioritäten und Motivationen anzeigt,
die abgestuft passieren....eigentlich ganz anders interpretiert werden solle, vielleicht besser ein Kreis wäre,
oder Bedürfnisse sich nicht abgrenzen ließen.

Und natürlich ist das ein Modell. Ein stark, stark, stark vereinfachtes, populärpsychologisches.
Das zeigt nicht die Wirklichkeit an, sondern genau das, was es soll.
Und es dient dazu zu definieren und Motivationen zuzuordnen.
Es gibt derlei zahlreiche (bessere) Modelle, das ist halt eines welches nahezu jedem geläufig ist.

Eine Landkarte ist auch flach. Wenn sich aber jemand nun mit dem Lesen einer Landkarte und
dem Umsetzen der Symbolik auskennt, dann wird er auch in Indonesien eine Landkarte in die Hand
nehmen können und mit einem Kompaß, der so ganz und gar nicht den (wirklichen) Norden anzeigt, seinen
Weg finden.

Ciao,
          A.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 14, 2010, 14:34:24
Nachtrag:

Morgane, Du hast ja schon recht, Motivationen und Bedürfnisse sind weitaus komplexer
und weitaus stärker miteinander verwoben,
als es die stark vereinfachte und "veraltete" Maslowsche Pyramide auch nur annähernd anzeigen könnte.
Da sind sich auch Psychofuzzies einig.

Nur, bitte, es ist ja nur meine Meinung, halte ich es nicht für sinnig aus einer bestimmten Pyramide,
die eben genau für eine gewisse Funktion steht, damit man mit Definitionen innerhalb dieser arbeiten kann,
diese in Frage stellt.
Das Modell hat auch nicht den Sinn in jedem Fall seine Funktion zu erfüllen.
Ganz im Gegenteil.
Aber in bestimmten Bereichen ist es zielführend, mit diesem vereinfachten Modell zu arbeiten.

Ciao,
          A.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: eald am Oktober 14, 2010, 15:45:50
Hi Mc Claudia,

Liebe Mit-User/innen,

Zitat
mir macht schon längere Zeit Gedanken, inwieweit, nach welchen Prinzipien, und ob überhaupt Ideen, Philosophien, Regeln, Ideologien (oder sogar Religionen?) auf alle Menschen auf der ganzen Welt anwendbar, also universalisierbar sind.
Dazu wüsste ich gerne ob ein universaler Gedanke per se gut oder schlecht sein könnte. Wäre dem so, müsste ich dann noch mit Moslems oder Christen beispielsweie streiten? Die - Fanatiker mal ausgenommen [?] - wollen schließlich alle doch nur "das Gute"!?

Zitat
Jetzt muss man sich natürlich fragen, wenn ich ein Verbrechen schlimm finde, warum finde ich es schlimm? Gibt es eine Maxime, einen kategorischen Imperativ, eine Grundregel, Tugenden, Gefühle, nach denen ich mir mein Urteil bilde, nach denen ich versuche, selbst zu handeln? Wahrscheinlich wird jede/r, der/die kein Soziopath/in ist, mit ja antworten.

Da ich grad das Daodejing (in der gewöhnungsbedürftigen Übersetzung von Richard Wilhelm lese: 1. Ich vermute einen solchen "universalen Gedanken" der in dem Buch halt als Dao bezeichnet wird. Das Problem (Vers 1): Das Dao, das sich aussprechen lässt, ist nicht das ewige Dao. Der Name der sich nännen lässt ist nicht der ewige Name [...]. Will meinen, alles was der Mensch erklärt, definiert, festlegt und/oder bescrheibt ist imho Flickwerk, Ausschnitt, niemals ganz und drum niemals vollständig. Das was der Mensch festlegt, ist imho Moral, Sitte, die in dem 38. Text ihren Platz in einer absteigenden Rangliste folgendermaßen zugewiesen bekommt: ... Wer die Liebe hochhält, handelt, aber hat keine Absicht. Wer die Gerechtigkeit hochhält, handelt und hat Absicht. Wer die Sitte hochhält, handelt, und wenn ihm jemand nicht erwiedert, so fuchtelt er mit den Armen und holt ihn heran.

Selbst die Gerechtigkeit da würde ja nun aber schauen: "Ist das auch in deren Kontext schlecht, oder nur in deren Kontext schlecht? Beispiel hierzu wäre der Deutsche der Burkaverbote forderte aber halbnackt im Badestrandautfit während seines Türkeiurlaubs mal "in die Moschee reingucken tut". Moral sagt was der Europäer noch als Sittlich sieht und da soll der Moslem gefälligst ...? Das wär Sitte. Gerecht wäre mit den Badelatschen in der Moschee zu erklären wie man die Burkaträgerinnen in ihrem Recht in Deutschland weiter so rumzulaufen ja doch auch verteidigte oder halt in der Moschee so rücksichtsvoll zu sein wie mans in D-Land ja andersrum auch forderte. (Die liebe und das de mal aussen vor lass.


Zitat
Jetzt geht es darum, für wen diese meine Maxime gelten soll. Also nehmen wir an, ich habe eine Maxime, die ich so toll finde, dass ich mir vorstellen kann, dass damit der Menschheit insgesamt geholfen ist, wenn sie sie beherzigen würde.
Wenn du eine findest die alle Beherzigen wollten ... denn ohne den freihen Willen dazu resultiert das imho auch ned in "dass damit der Menschheit insgesamt geholfen ist".

Zitat
Das heißt, ein Verbrechen, das ich für ein solches halte, ist dann immer ein Verbrechen, egal ob bei den alten Kelten oder im 21. Jhdt., egal ob in Somalia oder in Österreich.
Keiner - ausser vielleicht die daoistischen Unsterblichen sind wohl ohne Urteil, welches sich auch aus Moral und Sitte wohl mit ergibt. Solang nun das Gegenüber deine Doktrien ned anerkennt, gibts da keinen Grundd den - moralisch - zu verurteilen. Rechtlich, wenn wer die Gesetzeslage kennt, denk ich, ist es klar, dass Rechtsbruch Rechtsfolgen nach sich zieht. Moralisch aber ... ist das imo nicht ganz so leicht - Hitler und andere Völkermörder, der  Einfachheit halber, mal hier aussen vor gelassen. Klar kannst du die Amisch Frauenverachtend unterdrückend etc. finden - solang du dir daraus nicht das Recht herleitest die irgends maßzuregeln.



Zitat
Oder bin ich relativistisch?
Find ich persönlich mir näherstehend, wobei:

Zitat
[...] es unmöglich schaffen kann, über mich selbst hinauszudenken, um verallgemeinerbare Ideen zu denken.
Das denke ich nicht. Mag schwer sein, mag viel Arbeit, das heißt, ein Ethnologiestudium beispielsweise oder das mehrjährige Eintauchen in die fremde Kultur verlangen. Unmöglich aber? Nein, das denke ich dann doch nicht wirklich.

Zitat
was in meiner Kultur ein Verbrechen ist, werde ich dulden, wenn es in einer anderen Kultur passiert, wenn es dort als Heldentat gilt, weil es ansonsten eurozentrisch oder ethnozentrisch wäre
Wenn du das pauschalisiertst biste imho bei der oben von mir zitierten Sitte. Die Gerechtigkeit hingegen, weiß: Der Pragmatiker entscheidet Fälle nicht nach Grundsätzen, sondern fallweise. (Ron Kritzfeld)

Über das eine schau ich noch hinweg, aber irgendwann handele ich um mir weiterhin in die Augen schauen zu können. Aber da handele ich aus meinem persönlichen Bedürfnis heraus, nicht aus der Annahme her, ich befände mich in irgendeiner moralisch höheren Position. Ich handelte dann, weil ich das nicht mehr ansehen könnte. Würde aber weder denken noch erwarten wollen, das die von mir "Befreiten" alle jubeljauchzend mir um den Hals fielen, vor lauter Dankbarkeit. Würden sie sagen, "Verzieh dich, scheiss Ausländer, das ist unser Bier!", dann wär das halt so. Die tun was sie für richtig halten, ich auch. Wenn ich dann was tu mach ich bei mir fet das des für mich stimmt, erwarte dann aber nicht das das auch denen okay so scheinen muss.



Zitat
Was mich in erster Linie interessiert: Glaubt Ihr, dass es Regeln, Normen, Ideen, Ideologien, Philosophien oder viell. sogar Religionen gibt, die Ihr als dermaßen toll und bar jeden Makels seht, dass Ihr der Meinung seid, mit deren Einhaltung wäre allen Menschen auf der ganzen Welt geholfen?
Nein.

Zitat
Habt Ihr also in Eurem Ideenkatalog Dinge, die Ihr universalisieren würdet?
Anbieten, auf Basis der Freiwilligkeit? Ja
Absolutgesetzt? Nein

Zitat
Wenn ja, welche sind das?
Daodejing für politisches/persönliches Handeln.
Sunzi in strategischen, Kriegerischen Belangen.
Die Christliche Nächstenliebe.
Das muslimische Almosenwesen.
etc. etc. etc. pp.

Zitat
Und, warum würdet Ihr sie universalistisch sehen?
Würd ich nicht, nur als Angebot wie gesagt.

Zitat
Und – angenommen, Ihr hättet die Macht, wie würdet Ihr widerwillige Menschen dazu bringen, Euren Ideen zu folgen?
Mit macht garnicht, allenfalls mit Überzeugung - wenn die im Gespräch nicht besser sind und eher mich von ihrem etwa überzeugten.

Zitat
Das interessiert mich in erster Linie. Wenn Ihr eher zu den (Kultur)relativist/innen gehört, würde mich interessieren, wie Eures Erachtens ein globales Zusammenleben funktionieren soll, wenn es unmöglich ist, gemeinsame Werte zu formulieren.
Gemeinsam verbindliche (rein verhandlungstechnisch und wertefrei] Regelungen für alle, dann Empathie, dann Rückzugsmöglichkeiten und ... try and error.

Zitat
Und es ist mir auch klar, dass gute Ideen oft missbraucht wurden / werden.
Aber genau deshalb: Missbrauch und missverstehen - gehts imho halt auch nicht.

Ausserdem: Wärs nicht langweilig, wären alle gleich?
Zitat von: "Leopold von Ranke"
Wollt ihr die Unterschiede vernichten, hütet euch, daß ihr nicht das Leben tötet.

eald
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 14, 2010, 19:40:35
Zitat von: "Occam's razor"
Ein Alpinist, der bewußt (!) auf seine Grundbedürfnisse verzichtet wäre in der Maslowschen Bedürfnispyramide
auf den obersten Stufen zu finden.

Hallo Occam's razor

für unseren Alpinisten müsste man wohl die Pyramide umgekehrt zeichnen, eine dünne Spitze bei den Grundbedürfnissen, dick und gross bei der Selbstverwirklichung am anderen Ende. An Lebenswichtigem muss beim Alpinisten alles in den Rucksack packen, was sehr wenig ist an Volumen und an Gewicht, verglichen zu all dem, was nur schon in einer bescheidenen Wohnung Platz findet.

Zitat
Das ist eben gerade ein "Luxus", den sich Leute, die krank sind, alleine, kein Einkommen haben, von etwaigen
Gefahren bedroht werden und tatsächlich um ihre Existenz kämpfen müssen...nicht leisten können.

ja, wenn es an die Existenz geht, wird es höllisch schwierig.
Interessant sind jene - recht wenigen Menschen - die irgendwann jenseits der Angst sind, weil noch schlimmer kann's eh nicht mehr kommen... also tun sie genau das, was sie tun wollen, und alle Rücksichten, Ängste und Zweifel sind nicht mehr relevant.

Zitat
Solche Modelle sind nicht sinnvoll, wenn sie frei interpretiert werden.
Das wäre in etwa so...wie wenn ein Autofahrer das Rot an der Ampel frei für "ich darf fahren" interpretieren würde.

Kommt darauf an, wie man "frei" versteht. Die Stufen sind bestimmt nicht beliebig. Grundbedürfnisse ist nicht dasselbe wie sozialer Status, daran gibt es nichts zu rütteln.

Sinnvoll an Maslow finde ich, dass man fast alle menschlichen Erfahrungen ohne grössere Probleme in die passende Stufe packen kann, da ist wirklich das ganze Mensch-Sein abgedeckt. Und es ist nicht allzu kompliziert aufgebaut, ein paar wenige Stufen, praktisch, simpel, kein Chichi.

Ausbauen kann man es trotzdem recht gut - indem zB verschiedene Aspekte eines Menschen je ihre eigene Pyramide bekommen.das klassische Beispiel von jemandem, dessen Sehnsucht (Selbstverwirklichung) danach strebt, eine künstlerische Karriere einzuschlagen - die Vernunft. aber rät, einen soliden Brotjob (materielle Sicherheit) zu  lernen. Zwei Seelen, ach, in einer Brust...

wenn dann noch bedacht wird, dass verschiedene Menschen ganz verschiedene Prioritäten haben - die einen brauchen eine wuselnde Familie um sich, andere sind glücklich, wenn sie am Abend ganz allein sind... einige sind erst ruhig, wenn ihr Pensionsplan eine sechsstellige Summe vorsieht, andere fühlen sich reich, wenn sie einen Hunderter in der Hosentasche haben - liegt einer breiten Anwendung wohl nichts mehr im Wege.

Universal ist bestimmt, dass jeder Mensch gewisse Bedürfnisse hat auf all diesen Stufen - wenn auch jeder Mensch andere Prioritäten hat. Eine universale Ethik sollte me berücksichtigen, dass jeder Mensch das Recht hat, auf allen diesen Ebenen das zu gestalten, was ihm/ihr am meisten zusagt - unter der Voraussetzung, nicht die Freiheit Anderer zu beschneiden, natürlich.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 15, 2010, 15:49:25
Hi, Barbara!

Ja, also es gibt, wie erwähnt sicher geeignetere Modelle
als die Maslowsche Bedürfnispyramide.
Und diese ist sicher nicht in jedem Fall sinnvoll anzuwenden.

Nur dies mit den unterschiedlichen Prioritäten:
also in Deinen beschriebenen Umständen würde ich hm...eher von Vorlieben sprechen,
Es ist halt nur so...solange jemand seine zb. primären Bedürfnisse (Stoffwechsel, schlafen, erhaltende Lebensfunktionen usw.)
nicht erfüllen kann wird es schwer sein anderen zu folgen.  ;)

Ciao,
           Occam
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 15, 2010, 21:10:34
Zitat von: "Occam's razor"
Nur dies mit den unterschiedlichen Prioritäten:
also in Deinen beschriebenen Umständen würde ich hm...eher von Vorlieben sprechen,
Es ist halt nur so...solange jemand seine zb. primären Bedürfnisse (Stoffwechsel, schlafen, erhaltende Lebensfunktionen usw.)
nicht erfüllen kann wird es schwer sein anderen zu folgen.  ;)

Hallo Occam

ich bin mir jetzt nicht sicher, ob wir uns da richtig verstehen.

mit "verschiedenen Prioritäten" meine ich nicht das was zwischen den Stufen geschieht, sondern innerhalb einer Stufe. Sagen wir mal, alle Menschen haben ein Bedürfnis, sozial eingebettet zu sein - konkret kann das aber sehr verschieden aussehen, wann ein Mensch sich wohl fühlt. Einer kann jeden Tag mutterseelenallein vor sich hin werkeln und ist damit zufrieden, andere brauchen täglich viele Kontakte... und keiner möchte mit dem andern tauschen.

Bei der Basis, den körperlichen Grundbedürfnissen, dürfte das noch bei allen sehr ähnlich aussehen, je höher wir hinaufklettern, desto verschiedener sind die Bedürfnisse. Bei Status und Prestige  braucht  einer Rolex & BMW, ein anderer eine Doktorarbeit mit summa cum laude, ein dritter eine hübsche Partnerin... sehr verschieden. und doch immer dasselbe Bedürfnis.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 16, 2010, 00:13:02
Hi, Barbara!

Ja, ich denke, daß wir uns da nicht verstehen.
Da sprechen wir aneinander vorbei.

Ciao,
           A.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Oktober 16, 2010, 01:02:20
m hm.

und was meinst du denn tatsächlich? oder was siehst du wie anders?
*grad verwirrt bin*

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Occam's razor am Oktober 17, 2010, 12:43:45
Hi, Barbara!

Ich möchte auf das Thema nicht näher eingehen.
Wollte nur zur Maslowschen P. meine Äußerungen abgeben.
 ;)

Ciao,
           A.
Titel: Menschenpflichten
Beitrag von: Mc Claudia am Januar 10, 2013, 15:45:09
Hi,

ich zerr mal den thread nach oben. Da irgendwo mal nach den "Menschenfplichten" - analog oder aufbauend auf den Menschenrechten - gefragt wurden (weiß nimmer wo). Sowas wurde von der UNO tatsächlich formuliert:

http://www.humanistische-aktion.de/mpflicht.htm (http://www.humanistische-aktion.de/mpflicht.htm)

Was haltet Ihr davon?
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: AnufaEllhorn am Januar 11, 2013, 12:06:27
Well met, Mc Claudia ;)

Gut formuliert und vor allem wird´s recht viele geben, die da heftig applaudieren, mich inklusive.
Soweit die Theorie und ich für meinen Teil warte halt jetzt mal drauf, dass sich das in der Praxis auch de facto durchsetzt  :gruebel: bis jetzt ist davon nicht wirklich rasend viel zu merken. *upps* natürlich!!!! In unseren Breitengraden mag das schon "weit verbreitet" sein  :weißnicht: ... zumindest im Vergleich zu gut der Hälfte der menschlichen Gesellschaft.
NUR - wenn das, in unserer Gegend Übliche, die Praxis zur Theorie ist  ... :doh:  *aua*
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Januar 11, 2013, 13:14:15
naja - Menschenrechte, Menschenpflichten, Tugenden, kategorischer Imperativ, goldene Regel....

Das sind Richtwerte, das Ideal.

Ein guter Staat ist einer, der auch aktiv versucht, diese Richtwerte gesetzlich zu verankern und praktisch die Voraussetzungen dafür zu schaffen und schweres Zuwiderhandeln ahndet.

Und ein "guter Mensch" oder ein tugendhafter Mensch (klingt jetzt pathetisch) ist einer, der sich bemüht, nach solch menschlichen Richtlinien zu leben.

Dass das Ideal praktisch wahrscheinlich nie erreicht werden kann, ist klar, weil die menschliche Natur  und das Zusammenleben kompliziert sind. Aber es ist schon viel gewonnen, wenn sich bemüht wird. *find*
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Januar 12, 2013, 13:48:31
Zitat von: "Mc Claudia"
Ein guter Staat ist einer, der auch aktiv versucht, diese Richtwerte gesetzlich zu verankern und praktisch die Voraussetzungen dafür zu schaffen und schweres Zuwiderhandeln ahndet.

Ein guter Staat ist vor allem ein Staat, der Strukturen so gestaltet, dass es leicht ist, Menschenpflichten zu beachten. Also zum Beispiel so, dass moralisches Verhalten und finanzielle Vorteile sich nicht widersprechen und so einen Konflikt schaffen, der auch ethische Menschen zum Stolpern bringen kann, sondern gutes Handeln und finanzielle Vorteile sollen Hand in Hand gehen. zum Beispiel.

Ein guter Staat ist einer, der die Menschen mit all ihren Schwächen akzeptiert und womöglich sogar diese Schwächen so nutzt, dass daraus gutes, menschliches Handeln entsteht.

Dann halten sich die Zuwiderhandlungen auch in engen Grenzen und es braucht keinen übermässig grossen Apparat an Polizei und Gefängnissen.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Januar 15, 2013, 15:21:48
Klingt cool. Ich liebe auch Utopien.

Aber ernüchternd muss ich gestehen, dass ich schon froh sein kann, in einem Ding zu leben, das sich zumindest Rechtsstaat auf die Fahnen geschrieben hat, auch wenn noch vieles im Argen liegt.  :gruebel:
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Januar 16, 2013, 07:36:24
Zitat von: "Mc Claudia"
Klingt cool. Ich liebe auch Utopien.

So utopisch ist das nicht. die Schweiz funktioniert sehr gut damit, dass die Leute einander vor lauter Neid und der-andere-solls-bitte-nicht-besser haben allen eins auf die Finger geben, die eine allzu grosse Extrawurst für sich wollen. Bald kommt die Abzockerinitiative zur Abstimmung, ich glaube, sie hat eine reelle Chance, angenommen zu werden.

aber Rechtsstaat ist natürlich schon ein guter Anfang.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Giles am Januar 28, 2013, 19:09:10
ad  Art 1: definiere menschlich bitte. alles was menschen je getan haben? hm. alles was sie je gut fanden? hm-hm.
wenn das wer in einem buch schreibt: gerne. als "norm" ist das ein bissl schofel.

@McClaudia: jedes regime schreibt auf seine fahne, der träger von gerechtigkeit zu sein. hast Du gewusst, dass Österreicher in Afghanistan (oder wars Pakistan?) stationiert sind, als "humanitäre Mission"? Ist das wirklich so humanitär?
En realité tragen wir das unendliche leid des frühkapitalismus in die ganze welt hinaus und schauen zu, wie er menschen, gesellschaften, kulturen, landschaften, ökosysteme, razzfazz platt macht. nachher schicken wir elder statesmen, die solche texte produzieren. was ist wahr? beides. was ist realität? verhandelbar, aber für die meisten menschen wohl eher das handeln (der handel?) als die schönen worte.

letztlich: einem individuum hat niemand vorschriften zu machen, auch keine ebenso fehlbaren anderen individuen. welchen weg ein mensch einschlägt ist seine alleinige verantwortung. freies gehen ist ab der mündigkeit in my humble opinion sinnvoller als rollatoren von normen, die ja dann auch in praxi überall gegeneinander krachen. je mehr eine gesellschaft ihre gemeinsamen prinzipien verliert, desto mehr definiert sie sie. superbeispiel: wohlverhaltenscodes von börsennotierten gesellschaften. da steht ziemlich genau das gegenteil dessen drinnen, was gelebte realität ist.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Januar 29, 2013, 22:59:08
Genau wegen dem Börsenbeispiel wäre ich für harte Gesetze, die das Kapital wieder kontrollieren.

Und Afghanistan ist ein schlechtes Beispiel. Was Afghanistan betrifft bin ich ziemlich antipazifistisch. Die Loser sind immer die Frauen, am stärksten unter den Taliban, daher ja, ich bin für die Stationierung von westlichen Militärs dort. Auch wenns nicht optimal ist.

Und die Freiheit des Einzelnen endet bei der FReiheit von anderen. DAs ist immer eine Ausmachenssache. Hart gesagt, mit Hobbes gesprochen, hält man sich eben an Verträge, damit man sich nicht gegenseitig umbringt. Jede Ethik ist menschengemacht. Ich bevorzuge eine Ethik, die mir die größtmögliche Freiheit lässt unter größtmöglichne sozialen Sicherheiten, die heutzutage eben der Staat trägt. Stamm war gestern. Ich sehe mich als modernen Menschen.

Und nein, ich hasse überzogene Rauchverbote, Fettverbote, Alkoholverbote oder sonstige moralinsaure Entmündigungen. Das hat aber auch nichts mit dem zu tun, was ich mir wünsche. Nämlich dass ich, sollte ich angegriffen oder vergewaltigt werden, ein Staat dafür sorgt, dass der Täter vor ein rechtsstaatliches Gericht kommt und ich Opferentschädigung bekomme, ich wünsche mir einen Staat, der ausreichend Möglichkeiten schafft, dass man von der Wiege bis zur Bahre versorgt ist, egal wie wenig man verdient, oder woher man kommt. Ich wünsche mir einen Staat, der mich als Lesbe, Behinderte, Minderheit, Andersgläubige vor Übergriffen der Mehrheitsgesellschaft schützt. Ich wünsche mir einen Staat, der die Menschenrechte verwirklicht oder dies zumindest ehrlich versucht. Denn ich will für mich und alle anderen ein möglichst freies menschenwürdiges Leben.

Ich will nicht in einem Afghanistan leben, in einem Kriegsgebiet, in einem islamistischen, faschistischen oder stalinistischen Staat. Ich will meine Meinung sagen dürfen, ohne dafür eingesperrt zu werden. Ich will jede Religion oder keine Religion haben dürfen, ohne dafür gesteinigt zu werden.

Das sind für mich universalistische Ideen, die für mich förderungswert sind. Weltweit.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Januar 30, 2013, 20:29:25
Zitat von: "Mc Claudia"
Genau wegen dem Börsenbeispiel wäre ich für harte Gesetze, die das Kapital wieder kontrollieren.

Da wär eome Veränderung des Geldsystems angebracht. Vollgeld zB, sodass neben Exekutive, Legislative und Judikative als vierte Gewalt die Monetative die Kontrolle über die Geldmenge im Auftrag des Staates direkt ausübt, und auch direkt dem Staat Geld zur Verfügung stellen kann, ohne dass Schulden gemacht werden müssen.

Ein Zinsverbot wäre auch wieder mal ein Thema, denn es ist der Zins und seine exponentielle Natur, der uns wie Hamster im Rad rennen lässt. Wenn dann mal das System vernünftig geregelt wär, bräuchte es auch gar keine besonders harten Gesetze, sondern das System wäre selbstregelnd vernünftig und sorgt für Vermehrung des allgemeinen Wohlstands, und nicht wie heute dafür, dass sich die Schere von Arm und Reich immer mehr öffnet und aufwendig umverteilt werden muss, was auf allen Seiten böses Blut erzeugt (und Schuldenberge)

Zitat
Ich wünsche mir einen Staat, der die Menschenrechte verwirklicht oder dies zumindest ehrlich versucht. Denn ich will für mich und alle anderen ein möglichst freies menschenwürdiges Leben.

hier fällt mir Kennedy ein: Frage nicht, was der Staat für dich tun kann, frage, was du für den Staat tun kannst.

Der Staat, das sind wir alle.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Giles am Februar 01, 2013, 12:09:16
hobbes´ naturzustand ist ein gedankenexperiment und damit keine reale erfahrung, sondern eine reine projektion.
jemand anderen mit gewalt zu seinem glück zwingen ist für mich gar nicht. jede sicherheit ist auch eine einschränkung, ich fürchte mich zutiefst vor einem überall bevormundenden staat "von der wiege bis zur bahre (formulare, formulare)".  

und nein, am hindukusch hat keine armee aus europa was zu suchen, die benachteiligung von frauen (über schnitt) kam ja erst als folge des angriffs der sowjets. mit jedem krieg der über das land schwappt werden die leute rückständiger, weshalb man nach einem neuen krieg ruft, der die rückständigen bekämpft. das ist eine spirale nach unten.
nach der logik müssten westliche armeen sofort in diesen ländern einmarschieren: saudi arabien, pakistan, iran, ein paar afrikanische staaten.... das ist ein düsterer weg, an dessen ende vergiftete äpfel und häuser aus lebkuchen stehen  ;)
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Februar 04, 2013, 15:08:29
Auch universailistische Ideen sind ein Gedankenexperiment. Und ja, mir würden schwedische Zustände gefallen, wo man von der Wiege bis zur Bahre staatlich versorgt ist, und z.B. als grad arbeitslose Ehefrau nicht vom Einkommen des Partners abhängig ist, sondern wo das Individuum bei allen sozialen Hilfen im Vordergrund steht.

Dafür würd ich auch gern mehr Steuern zahlen. Wäre mir jedenfalls 100x lieber als die auf uns schön langsam zusickernden US-Verhältnisse, wo man gezwungen ist, privat pensionsvorzusorgen, wo die 2-Klassen-Gesellschaft bei der ärztlichen Versorgung auf uns zukommt, wo der Sozialstaat immer mehr beschnitten wird. Solange man gesund ist und genug verdient, kann man sichs ja leisten. Und wenn nicht - ... Näää - ich finde, ein funktionierender Sozialstaat, der nicht den Familienmitgliedern die Bürde der Alters- und Krankenversorgung aufbürstet schon eine hervorragende Sache.

Dass der Staat gegen höhere Steuern für mein gesundheitliches Wohlergehen sorgt, heißt aber nicht, dass ich Big Brother will, überhaupt nicht. Das sind 2 verschiedene Paar Schuhe. Das eine hat mit sozialer Grundversorgung zu tun, das andere mit Privatsphäre und Meinungsfreiheit. Und soweit mir bekannt ist, wird in Schweden niemand für freie Meinungsäußerung eingesperrt ....

Und ja, ich bin der Meinung, dass unter gewissen Umständen eine militärische Hilfe in Gebieten, wo Massenmord droht mehr als akzeptabel, ja geboten ist. Ich denke nur an Rwanda oder Kongo oder jetzt Mali. Und was die Frauen in Afghanistan betrifft - unter Sowjetherrschaft gabs zum ersten Mal sowas wie Frauenrechte ......
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Februar 04, 2013, 15:35:02
Nachtrag: Nicht dass man mich falsch versteht - militärische Interventionen sind mE. das allerletzte Mittel, und ich bin keineswegs der Meinung, dass die Sowjetunion irgendein Recht hatte, nach Afghanistan einzumarschieren. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass in strengst patriarchalen Gesellschaften eine Intervention von außen, vom "Westen" für Frauen durchaus positiv sein kann - auch wenn der Angriff grundsätzlich als negativ zu werten ist oder überhaupt nicht gerechtfertigt ist. Ist halt ein zweischneidiges Schwert sowas, und hat mit universalistischen Ideen an sich jetzt auch nicht mehr viel am Hut, sondern eher mit der großen Problematik der weltweiten praktischen Umsetzung von Menschenrechten ....
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Giles am Februar 05, 2013, 23:51:01
universalistisch konzepte a la integrale spiritualität sind eben kein gedankenexperiment, sondern werden in der natur bei menschen objektiv nachvollziehbar beobachtet. insofern handelt es sich um einen naturwissenschaftlichen zugang. hobbes dachte sich einfach was aus, das es nie gab, womit er eher einen philosophischen oder auch poetischen zugang hat.

sozialstaat und mehr steuern: derzeit haben wir 6mio wahlberechtigte von denen rund die hälfte leistungsbezieher sind (pensionisten, arbeitslose, studenten etc). das ist ein faktum. damit kippt das system gerade. da reformen bei uns ja grundsätzlich nie stattfinden kann man auch nicht reformieren, daher wird dieses system langsam, so wie das kreuzfahrtschiff in italien, gegen die felsen krachen und wegen irgend einem leck untergehen. eine rettung läge imho in umgestaltung des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen systems, die politik allein ist da spätestens seit 1989 machtlos.

militärisches eingreifen geht immer davon aus, dass es nachher besser ist als vorher. die menschheitsgeschichte hat unzählige male das gegenteil gezeigt (ausnahmen bestätigen die regel). hätte es bei uns keinen marshall plan gegeben wäre vielleicht selbst die ns ideologie noch wesentlich präsenter als sie ohnehin ist.
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: barbara am Februar 06, 2013, 11:38:34
Zitat von: "Giles"
militärisches eingreifen geht immer davon aus, dass es nachher besser ist als vorher. die menschheitsgeschichte hat unzählige male das gegenteil gezeigt (ausnahmen bestätigen die regel). hätte es bei uns keinen marshall plan gegeben wäre vielleicht selbst die ns ideologie noch wesentlich präsenter als sie ohnehin ist.

Aber man muss auch sehen, dass es ohne militärisches Eingreifen gar nie zum Marshallplan gekommen wäre.

Manchmal ist Krieg angebracht - so schnell wie möglich, so präzis wie möglich, so kurz wie möglich, aber so lang wie nötig und so umfassend wie nötig - aber dann muss ein Plan für NACH dem Krieg greifen, und was nach dem Krieg ist, das dauert in der Regel lange.

Siehe Irak: es reicht nicht, den Diktator zu stürzen, und nachher die Sache sich selbst zu überlassen und meinen, dass das dann schon gut geht. Wenn ein Land Krieg führt, übernimmt man damit auch die Verantwortung für die Nachkriegszeit, und die Chance ist relativ gross, dass die lokale Bevölkerung all das gar nicht schätzt.

grüsse, barbara
Titel: Re: universalistische Ideen
Beitrag von: Mc Claudia am Februar 06, 2013, 16:26:53
Hi Giles,

ich lass das mal mit dem Krieg, da haben wir verschiedene Ansichten, ist OK.

Aber universalistische Ideen können sehr wohl Gedankenexperimente sein. Ich schrieb ja auch absichtlich IDEEN (und nicht funktionierende Praxis).

Jede Idee, die den Anspruch auf universelle Gültigkeit hat, ist eine universalistische Idee, egal, ob ich diese nun gut finde oder nicht. Wenn ein Muslim sagt, alle Menschen müssen Muslime sein, dann ist Frieden, Freude, Eierkuchen, ist das eine universalistische Idee, genauso wie Marx's Kommunismus oder der Kapitalismus als Ideologie. Alle diese Ideen gehen davon aus, dass wenn nur alle Menschen an diesen Ideen festhalten, dann alles besser oder sogar bestens wird.

Meine persönliche universalistische Idee ist halt am ehesten in den Menschenrechten zu finden, denn mir persönlich isses wurscht, an welche Götter Menschen glauben oder ob überhaupt. Ein Hardcore-Katholik z.B. würde mir widersprechen, da wäre die Welt erst in Ordnung, wenn alle katholisch werden.

Jede Idee ist erst mal ein Gedankenexperiment. Manchmal hat man praktisches Anschauungsmaterial, manchmal nicht. Und Ideen haben es auch an sich, dass sie nie, egal, wie sehr man sich bemüht, perfekt funktionieren. Sie haben alle ihren Teufelsfuß dabei, ihre Unzulänglichkeit, ihre Widersprüche und Ungereimtheiten. Damit muss man halt leben.