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universalistische Ideen

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Mc Claudia:
Liebe Mit-User/innen,

mir macht schon längere Zeit Gedanken, inwieweit, nach welchen Prinzipien, und ob überhaupt Ideen, Philosophien, Regeln, Ideologien (oder sogar Religionen?) auf alle Menschen auf der ganzen Welt anwendbar, also universalisierbar sind. Mit großem Interesse verschlinge ich gescheite Bücher und Artikel über die Menschenrechte, über Religionen, Fundamentalismen, Religionskritik.

Die meisten neuen Heid/innen, die ich kenne - mich inbegriffen - halten nichts von Missionierung. Auch liberale Richtungen in etablierten Religionen haben's nicht mehr so mit der Allgemeingültigkeit und mit dem Absolutheitsanspruch ihrer Reli. Und trotzdem - die Welt ist ein globales Dorf, per TV und Internet erfährt man binnen kürzester Zeit über alle möglichen Verbrechen quer über dem Erdball. Die Augen davor zu verschließen geht heute nicht mehr. Die Verantwortung der Machthabenden hat sich globalisiert.

Globales Denken ist aber nicht neu. Schon Diogenes (der mit dem Fass) hat gesagt, er sei ein Weltbürger. Klassische Philosoph/innen haben sich Gedanken drüber gemacht, was den Menschen an sich ausmacht, und wie die verschiedenen Kulturen und Religionen zusammengehen können. Das heißt, schon in der klassischen Antike haben einige kapiert, dass die Welt nicht an Griechenlands (oder Roms) Grenzen aufhört, und dass dahinter auch Menschen leben.

Jetzt muss man sich natürlich fragen, wenn ich ein Verbrechen schlimm finde, warum finde ich es schlimm? Gibt es eine Maxime, einen kategorischen Imperativ, eine Grundregel, Tugenden, Gefühle, nach denen ich mir mein Urteil bilde, nach denen ich versuche, selbst zu handeln? Wahrscheinlich wird jede/r, der/die kein Soziopath/in ist, mit ja antworten.

Jetzt geht es darum, für wen diese meine Maxime gelten soll. Also nehmen wir an, ich habe eine Maxime, die ich so toll finde, dass ich mir vorstellen kann, dass damit der Menschheit insgesamt geholfen ist, wenn sie sie beherzigen würde. Das tue ich auch, und wende meine Maxime auf alle Menschen zu allen Zeiten an. Damit sehe ich meine Maxime als universalistisch an. Das heißt, ein Verbrechen, das ich für ein solches halte, ist dann immer ein Verbrechen, egal ob bei den alten Kelten oder im 21. Jhdt., egal ob in Somalia oder in Österreich.

Oder bin ich relativistisch? Das heißt, bin ich der Meinung, dass meine Maximen, die ich für ganz richtig und gut finde, nur für mich, oder höchstens für meinen Staat, meine Gruppe, die EU, die westliche Welt gelten, und die keinerlei Anspruch auf Universalität haben, weil es keine Möglichkeit gibt, universalistische Ideen zu bilden, weil jede Kultur anders ist? Das heißt, ich bin der Meinung, dass ich, weil ich auch nur Kind meiner Kultur bin, es unmöglich schaffen kann, über mich selbst hinauszudenken, um verallgemeinerbare Ideen zu denken. Das heißt, was in meiner Kultur ein Verbrechen ist, werde ich dulden, wenn es in einer anderen Kultur passiert, wenn es dort als Heldentat gilt, weil es ansonsten eurozentrisch oder ethnozentrisch wäre (und wer bin ich schon, dass ich über andere urteilen darf).

Die Debatte ist eine große und nicht gerade einfache.

Was mich in erster Linie interessiert: Glaubt Ihr, dass es Regeln, Normen, Ideen, Ideologien, Philosophien oder viell. sogar Religionen gibt, die Ihr als dermaßen toll und bar jeden Makels seht, dass Ihr der Meinung seid, mit deren Einhaltung wäre allen Menschen auf der ganzen Welt geholfen? Habt Ihr also in Eurem Ideenkatalog Dinge, die Ihr universalisieren würdet? Wenn ja, welche sind das? Und, warum würdet Ihr sie universalistisch sehen? Und – angenommen, Ihr hättet die Macht, wie würdet Ihr widerwillige Menschen dazu bringen, Euren Ideen zu folgen?

Das interessiert mich in erster Linie. Wenn Ihr eher zu den (Kultur)relativist/innen gehört, würde mich interessieren, wie Eures Erachtens ein globales Zusammenleben funktionieren soll, wenn es unmöglich ist, gemeinsame Werte zu formulieren.

Das alles ist theoretisch. Ich bin mir sehr wohl bewusst, dass weder die Menschenrechte noch sonstwelche guten Ideen irgendwo so verwirklicht sind, dass man die Hände in den Schoß legen könnte. Und es ist mir vollkommen klar, dass weder ich, noch Ihr genügend Macht haben, um unsere Ideen da jetzt großartig durchsetzen zu können. Und es ist mir auch klar, dass gute Ideen oft missbraucht wurden / werden. Es ist vielmehr ein Gedankenspiel. Nachdenken, was wäre wenn – alle Menschen nach der eigenen tollen Maxime leben würden?

Meine eigene Antwort gebe ich in einem der folgenden postings.

So, jetzt bin ich aber auf Eure Antworten neugierig!

Liebe Grüße

Mc Claudia

morgane:
Hi mc. claudia!
Das ist eine gute und interessante frage, mit der ich momentan auch umgehe, auch in bezug aug einen bestimmten thread  ;)
Ich bin für mich zu dem schluss gekommen (und der ist jetzt wirklich völlig ideologiefrei), dass es bezüglich dieser frage eine gemeinsamkeit in allen religionen gibt, aber, dass man für die formulierung dieser regeln keine religion braucht. Das schaut ungefähr so aus:

- jeder mensch sollte, innerhalb gewisser grenzen, die wiederum ausformuliert sein müssen), frei sein können in gedanken, worten und handlungen, soweit es nicht das gleiche recht seiner mitmenschen - und geschöpfe tangiert. In etwa *tu was du willst und schade keinem*.

- das leben ist wertvoll und muss geschützt und respektiert sein. Das gilt auch für tiere und pflanzen - auch für die, die uns als nahrung dienen. Das würde natürlich einen wesentlich anderen umgang mit sog. *nutztieren* bedingen. Der umgang mit unserer lebenswelt ist grundlegend. Ausbeutung in jeder form ist verbrecherisch.

- keine ideologie, keine religion, kein politisches system hat das recht, diese grundrechte der menschen einzuschränken - sonst kehrt sich der grundsätzliche wert einer religion in ihr gegenteil um. In etwa: *kein zweck heiligt die mittel*

Das wär's eigentlich. Zum größten teil sind diese maximen in den menschenrechten ausformuliert. Ich finde sie gültig für alle menschen, weil sie ein menschenwürdiges leben ermöglichen.

lg morgane

barbara:
Hallo McClaudia

"Liebe deinen Nächsten wie dich selbst" ist meine Maxime, und auch wenn sie aus dem Christentum stammt, so kann und soll sie religionsunabhängig angewendet werden.

"Liebe"
lese ich als: achte und respektiere die Mitmenschen und andere Wesen; ehre sie als was sie sind; lerne sie kennen; lerne ihre Motive verstehen; lasse ihnen ihre Freiheit, auch ihre Freiheit, Dinge zu tun, die ich selbst als dumm oder unsinnig oder gefährlich erachte. Dies lässt auch grosse Flexibilität in Anbetracht konkreter Situationen, besonders ungewöhnlicher Situationen, auch in der Begegnung mit anderen, fremden Kulturen, wo meine Handlungen oder Nicht-Handlungen immer vom konkreten Fall abhängen - und diese Beurteilungen können sich durchaus im Lauf der Zeit verändern.

"deinen Nächsten"
sollst du lieben - also jene Person, jenes Wesen, mit dem ich gerade zu tun habe. Ja, es geschehen schlimme Dinge im Kongo, in Tschetschenien, in der Wüste Australiens und an vielen anderen Orten - aber ich habe nicht die Kraft, alles darüber zu lernen und mich zu engagieren. Wenn ich aber eine durstige Zimmerpflanze sehe, so kann ich ihr allerdings etwas Wasser geben, in dem Moment ist sie "meine Nächste". Wenn ich im Laden meinen Kaffee kaufe, kann ich daran denken, dass ich allen eine Altersvorsorge und Krankenversicherung gönne, und kaufe Fair Trade - in dem Moment sind die Unbekannten, die meinen Kaffee zubereiteten, "meine Nächsten". Ich kann dort, wo ich bin, meine Aufgaben nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen, mit jenen Menschen und Wesen, mit denen ich gerade in Kontakt bin. und das reicht.

"wie dich selbst"
 - nicht mehr, nicht weniger.

Jegliche Art von Zwang auszuüben, den andere Menschen dazu bringen könnte, diesem Prinzip zu folgen, verbietet sich ja wohl vom Prinzip her selbst. Liebe verführt, lockt und sagt "sieh doch, es ist so schön" - kommen muss jeder selbst, die wohltuenden Wirkungen dieses Prinzip muss jeder selbst erfahren.

ich kann noch nicht mal sagen, mit der Einhaltung des Prinzips wäre allen geholfen - meiner Meinung nach lieben alle schon sowieso sich selbst gleich wie ihre Nächsten - ebenso wie jeder sich selbst gleich hasst, verachtet, erfreut, erregt, beleidigt... wie seine Nächsten. Was du an deinem Nächsten tust, tust du an dir selbst. Und auch ein Streben nach Liebe und Geliebt-Werden hat wohl jeder Mensch - auch wenn es manchmal mit der Ausführung hapert, auch wenn es immer wieder Missverständnisse und Irrtümer in Bezug auf die Liebe gibt, auch wenn die Emotionen mal durchknallen oder die Gedanken zu starr werden... aber suchen tun doch alle nach der Liebe. alle wollen Liebe.

grüsse, barbara

dagaz:
diese verhaltensregeln bezw -muster sind eigentlich von der evolution in uns angelegt. leider sind wir von dieser als kleingruppenwesen und nicht für ein zusammenleben in großstädten ausgerüstet, d.h., die genetische programmierung zu kooperation und gegenseitiger hilfe funktioniert bei unserer jetzigen lebensweise nur bedingt, eben in kleinen freundeskreisen (wozu durchaus auch vereine bis zu einer gewissen größe gehören mögen).

als das klar wurde, weil die leute begannen, einander zu beklauen, berauben, vergewaltigen, auszubeuten, umzubringen,  entstanden religionen, die nächstenliebe - eigentlich die umlegung des hordenverhaltens auf die masse - predigten, um das funktionieren der gesellschaft zu gewährleisten - und gesetze, um die in schach zu halten, die auf die regeln pfiffen.

wie auch immer, 2100 sind wir bestimmt keine 6 oder mehr milliarden mehr, wenn wir so weiter machen. dann geht sichs vielleicht wieder mit dem paläolithischen verhalten wieder aus, ohne dass lang regeln - seien sie religiös oder institutionell - aufgestellt werden müssten.

Sambuca:

--- Zitat von: "morgane" ---- jeder mensch sollte, innerhalb gewisser grenzen, die wiederum ausformuliert sein müssen), frei sein können in gedanken, worten und handlungen, soweit es nicht das gleiche recht seiner mitmenschen - und geschöpfe tangiert. In etwa *tu was du willst und schade keinem*.

- das leben ist wertvoll und muss geschützt und respektiert sein. Das gilt auch für tiere und pflanzen - auch für die, die uns als nahrung dienen. Das würde natürlich einen wesentlich anderen umgang mit sog. *nutztieren* bedingen. Der umgang mit unserer lebenswelt ist grundlegend. Ausbeutung in jeder form ist verbrecherisch.

- keine ideologie, keine religion, kein politisches system hat das recht, diese grundrechte der menschen einzuschränken - sonst kehrt sich der grundsätzliche wert einer religion in ihr gegenteil um. In etwa: *kein zweck heiligt die mittel*

--- Ende Zitat ---
Deine 3 Grundsätze erscheinen mir optimal Morgane. Damit ist wirklich alles abgedeckt. Bis zur Verwirklichung ist es aber noch weit und bedarf ein ständiges Hinterfragen seiner Handlung, denn selbst wenn man theoretisch geistig so human ist, im Alltag kommt immer wieder das Triebverhalten-Echsenhirn durch.

--- Zitat von: "dagaz" ---wie auch immer, 2100 sind wir bestimmt keine 6 oder mehr milliarden mehr, wenn wir so weiter machen. dann geht sichs vielleicht wieder mit dem paläolithischen verhalten wieder aus, ohne dass lang regeln - seien sie religiös oder institutionell - aufgestellt werden müssten.
--- Ende Zitat ---

Momentan lese ich ein Buch in dem behauptet wird, erst durch das Schwarz- Weiss Denken, das sich vor 5 tausend Jahren entwickelt hat, entstand der Gedanke von der Abgetrenntheit des Göttlichen. Doch erscheint es mir, als würde dieses Denken erst den Mensch ausmachen und seine geistigen und handwerklichen Fähigkeiten ermöglichen. Mal abgesehen, dass 5.000 Jahre, als Zeitspanne, sehr kurz sind.

Was zu erwünschen wäre, ist ein erneuerter geistiger Sprung, der weg vom Trieb- Hirnverhalten zu reinen Hirnverhalten führt.  :gruebel: Andrerseits, mir fällt das Märchen von dem Fischer und seiner unbescheidenen Frau ein. Gibt auch ähnliche Geschichten in der Mythologie. :(
Leute ich weiß nicht wie es euch geht, aber stapfen wir nicht alle durch die Wüste?

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