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Autor Thema: Tarot, Kelten, Frust und Lust  (Gelesen 47107 mal)

Terra

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #15 am: Oktober 25, 2010, 21:56:25 »
Hi,
 Was Tarot Decks betrifft bin ich zwar erst ein Neuling und kenn mich noch nicht so aus mit den Unterschieden.

Ich habe zwei völlig unterschiedliche Decks. Und bin immer auf der Suche nach einem weiteren.

Zitat von: "Mc Claudia"
Was sind Eure Lieblings-Tarots? Habt Ihr ein Deck zum Legen und fertig, oder hat Euch wie mich auch ein bisserl die Sammelleidenschaft gepackt?

Mein erstes Deck war eines nach Lenormand - Mystisches Lenormand - 36 Karten und alle mit Tieren.
http://http://www.aeclectic.net/tarot/cards/mystical-lenormand/

Mein zweites Deck habe ich nur durch Zufall gefunden. In der "Schütteltruhe" in meinen Lieblingsbuchgeschäft. Eigentlich paßte es dort gar nicht hin ...  ein Afrikanisches Tarot.
http://http://www.aeclectic.net/tarot/cards/african-american/
Und auch wenn manche meinen, es könnte Probleme geben, wegen der kulturellen und geschichtlichen Unterschiede, bin ich absolut begeistert davon.

Ich kann mich nur meistens nicht entscheiden, welches ich benutze ...


Im Moment suche ich ein Deck, daß vor allem "Frauenlastig" ist. Ein absolut feminines Deck. Hat irgendwer dazu Ideen, wo ich fündig werde?

Aber auch die Idee, sich ein eigenes Tarot zu basteln, finde ich echt toll.


Schönen Abend
Terra
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Mc Claudia

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #16 am: Oktober 26, 2010, 00:49:23 »
Hi,

@Giles:

Zitat von: "Giles"

Zitat von: "Mc Claudia"
Die Aussage, dass es mit dem Patriarchat des 18./19. Jhdts. zu tun hat, dass...
Ist historisch schlicht falsch, weil ja die Karten ein paar Hundert Jahre früher entstanden.

Ich habe mich auf Roanas diesbezügliche Aussage bezogen.

Zitat von: "Giles"
Nein. Die Kreativität im 15 Jhdt. hält sich in sehr eng überschaubaren Grenzen, im Prinzip gibt es meist maximal zwei Darstellungsformen. So viel hat sich da ja auch nicht erhalten.
Der Holzzdruck und damit der Triumph der Marseille-Familie hat die Karten geradezu kanonisiert. Erst in Oberitalien, Wende 17./18. Jhdt beginnt sich neuer Schöpfergeist auszubilden.
Beweise des Gegenteiles sind mir übrigens sehr willkommen !

Ich weiß nicht, ob Dir das genügt. Also da wären mal die zwei Decks, die ich genannt habe, das Cary Yale Visconti mit den 6 Hofkarten, dann das Mantegna Tarot, das nur aus 50 Karten besteht und ganz anders aufgebaut ist, dann das Sola Busca Tarot, das m.W. das erste Tarot mit ausgemalten kleinen Arcana ist und in der Ikonografie teilweise das Rider Waite Tarot inspiriert haben soll:

http://www.tarotpedia.com/wiki/Sola_Busca_Tarot

oder das Bojardo-Tarot (les ich auch grad zum ersten Mal ;)  ):

http://www.tarotpedia.com/wiki/Boiardo%2C_Matteo_Maria

Dann ein Charles VI. genanntes Tarot:

http://expositions.bnf.fr/renais/arret/3/


Zitat von: "Mc Claudia"
Das Tarot hat m.E. universalisierbare Symbole.
Zweites Nein (und letztes, versprochen), es entspricht meiner Erfahrung was Morgana schrieb. Das ist eben NICHT universal, sondern kulturell geprägt. Funktioniert mit Europäern 1a, mit Amis 2b, Afrikanern im Norden 1b, je weiter weg desto schlechter gehts. Inder haut noch einigermaßen hin, eher noch als Russen, aber ganz zu Ende geht es mit Chinesen. Das ist meine persönliche Erfahrung. Leider. Ich hätte es gern so universal wie Du schreibst, aber in China ist ein Kaiser was ganz, ganz anderes als bei uns und ein Turm ebenso.
[/quote]

Also ich möchte mit aller Bescheidenheit nochmals auf die Native-American-Künstlerin hinweisen, die ein Native-American-Tarot entworfen hat, das aus 22 großen Arkana und 56 kleinen Arkana besteht und voll in nordamerikanisch-indianischer Symbolik aufgeht. Warum soll sowas nicht funktionieren?

Es geht hier um Hermeneutik oder Synkretismus. Natürlich hat der Kaiser von China einen anderen Status als der Pfalzgraf von Unterstinkenbrunn oder der Häuptling der Cree. Die Symbolik der politischen Respektsperson bleibt aber erhalten.

Wenn man natürlich eisern an eindeutigen Symbolinterpretationen festhält, kann man sich das kulturelle Zwischenspiel schenken. Aber mit ein bisserl Kreativität und Willen zur Umsetzung geht das locker. Das heißt ja nicht, dass das Tarot universal IST (hab ich ja nicht behauptet), sondern dass es, auch wenn es einen bestimmten kulturellen Background hat, so genial konzipiert ist, dass es universalisierbar ist (wenn man das möchte).

Der Papst ist halt dann kein Papst mehr sondern ein Schamane, Priester, Druide, Gode, was weiß ich, je nach Kultur halt. Jede Kultur hat Leute, die mit Geistern quatschen und als geistliche Autoritäten gelten. Den Turm, den ich immer als Zerstörung und Machtverlust deute, ist auch umsetzbar. Überall gibt’s auch mal Zerstörung. Usw.

Und die vier Elementsymbole (waren die ursprünglich überhaupt als solche gedacht? Ich hörte mal von der Idee, dass es die vier Standessymbole seien: Kelch: geistlich, Stab: Bauern, Schwert: Adlige, Münz: Händler) lassen sich auch kreativ umformen. Beim besagten Native-American-Tarot sind die Stäbe heilige Pfeifen, die Schwerter Streitbeile (Tomahawks), die Münzen Kriegsschilde und die Kelche tönerne Schüsseln. Schwert sieben – meine Lieblingskarte in diesem Tarot – war der Pferdedieb.

Wenn ich so drüber nachdenk, ist das Tarot als Bilderorakel jedenfalls leichter umlegbar auf andere Kulturen als z.B. Runen, Ogam oder I-Ging, weil die alle drei vorgegebene kulturell immanente Symbole verwenden, die als solches feststehen. Im Tarot hat man eigentlich nur komplexe Bilder, die so oder auch anders ausschauen können und so oder anders interpretierbar sind.

Also egal, ich finde schon, dass das Tarot universalisierbar ist.


@Terra:

das African-American-Deck schaut nett aus. Dürfte die afro-brasilianischen Kulte zum Thema haben, oder?

Frauendecks hier bitte, suchst Du aus aus großer Wühlkiste  :)  :

Da sind ausschließlich Frauen drauf. Die „Liebende“-Karte zeigt ein lesbisches Paar. (Es gibt aber zwei Ersatzkarten, glaub ich, wenn man doch zwei männliche Figuren dabei haben will.

http://www.tarotwelten.de/daught.htm

Das hier lehnt sich an die Ureinwohner/innen Americas an, wenn auch in leicht kindlicher Weise:

http://www.aeclectic.net/tarot/cards/medicine-woman/

Das hier ist kein reines Frauentarot, hat aber matriarchale Ideen zum Vorbild. Die Hofkarten sind gegendert:

http://www.tarotwelten.de/mopeace.htm

Das Barbara Walker Tarot ist zwar eher traditionell, hat aber auch matriarchale Ideen in der Symbolik:

http://www.tarotwelten.de/walker.htm

Dann gibt’s da ein Göttinnentarot:

http://www.tarotwelten.de/goddess.htm

Und ein Lesben-Tarot (die künstlerische Umsetzung schaut ja irgendwie geil aus …) :

http://www.aeclectic.net/tarot/cards/bapst-hall/

und noch eins, was nett ausschaut:

http://www.aeclectic.net/tarot/cards/an ... ne-wisdom/

ach guck doch selber  ;)  :

http://www.aeclectic.net/tarot/cards/goddess.shtml


Liebe Grüße

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #17 am: Oktober 26, 2010, 10:27:06 »
hallo Claudia und alle,

Zitat von: "Mc Claudia"
Ich habe mich auf Roanas diesbezügliche Aussage bezogen.

ja, das war mir eigentlich klar - sorry wenn das nicht rüberkam.

Zitat von: "Mc Claudia"
Ich weiß nicht, ob Dir das genügt. Also da wären mal die zwei Decks, die ich genannt habe, das Cary Yale Visconti mit den 6 Hofkarten, dann das Mantegna Tarot, das nur aus 50 Karten besteht und ganz anders aufgebaut ist, dann das Sola Busca Tarot, das m.W. das erste Tarot mit ausgemalten kleinen Arcana ist und in der Ikonografie teilweise das Rider Waite Tarot inspiriert haben soll:
http://www.tarotpedia.com/wiki/Sola_Busca_Tarot
oder das Bojardo-Tarot (les ich auch grad zum ersten Mal ;)  ):
http://www.tarotpedia.com/wiki/Boiardo%2C_Matteo_Maria
Dann ein Charles VI. genanntes Tarot:
http://expositions.bnf.fr/renais/arret/3/

Darf ich Dir zur geschichte des Tarot "Decker / Dummet: AHistory of the Occult Tarot" sowie Kaplans "Encyclopedia of the Tarot", insbes. Bände I und II empfehlen. Daraus ergäbe sich:
das Sola Busca ist ein kartenspiel aber kein Tarot. die "großen Arkana" haben mit unsern null zu tun, sondern stellen primär antike Götter dar. ein Bojardo Tarot gibt es nicht, sondern nur ein gedicht über karten von diesem herren. was LoSacrabeo, die ich serh schätze, im 20. Jhdt nachfrabrizieren ist historisch irrelevant, da eben nicht historisch. das Charles VI gehört zur Visconti Sforza gruppe. Du verzeihst mir daher, dass ich Deine sichtweise in diesem punkt nicht übernehme.


Zitat von: "Mc Claudia"
Also ich möchte mit aller Bescheidenheit nochmals auf die Native-American-Künstlerin hinweisen, (...)  Natürlich hat der Kaiser von China einen anderen Status als der Pfalzgraf von Unterstinkenbrunn oder der Häuptling der Cree. Die Symbolik der politischen Respektsperson bleibt aber erhalten. (...) Der Papst ist halt dann kein Papst mehr sondern ein Schamane, Priester, Druide, Gode, was weiß ich, je nach Kultur halt. Jede Kultur hat Leute, die mit Geistern quatschen und als geistliche Autoritäten gelten. Den Turm, den ich immer als Zerstörung und Machtverlust deute, ist auch umsetzbar. Überall gibt’s auch mal Zerstörung. Usw.

natürich geht das, dass man das einfach so hinbiegt, dass es irgednwas anderem im neuen kulturkreis entspricht. und as kann ja auch was nettes sein, keine frage. ob es dann noch Tarot ist, mag eine semantische haarspalterei darstellen, nur was mir glaube ich wichtiger ist al Dir: der kulturelle symbolismus wird eben nicht dadurch eingefangemn, dass man sich statt des Papstes einen x-beliebigen menschen mit prieseterfunktion sucht. da ist so viel mehr drinnen. und das geht alles verloren, weil im übersetzen einfach die grundbedeutungen aufgeweicht werden. fortsetzung folgt.
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Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #18 am: Oktober 26, 2010, 10:42:41 »
fortsetzung:
Sorry zunächst für die orthographie oben, die zeilendarstellung wirde bei längeren posts hier manchmal etwas sprunghaft.

weiter: es ist nicht jede kombination aus 78 bildern auch gleich ein tarot - ein orakle aber schon. und gerade darin, den Kaiser mit IRGEND einer autortät gleichzusetzen sehe ich keinerlei plus: andere kulturen haben ihre orakel, die brauchen unser tarot nicht. und das was gemacht wird, das ist sowas von zusammengekleistert. natürlich kann man sagen, da geb ich dem halt eine axt statt einem schwert in die hand. das bedeutet aber in beiden kulturen jeweils schlicht was anderes. und daran scheitert es.

es ist immens viel positives in einem unbefangenen, unvoreingenommenen zugang, von mir aus sollen tarot interpretationen gemacht werden in jeder beliebigen kultur. nur möge man nicht erwarten, dadurch entweder Tarot oder die andere kultur zu verstehen. das wäre so, wie wenn man Winnetou liest und anschliessend einen vortrag über das edle volk der apachen hält.

in summa: ich würde es begrüßen, wenn man zuerst sich die geschichte des tarot, seine bedeutung und seinen wirklich immensen bildreichtum anschaut. die geschichte in bildern, die bei einer Päpstin beginnt und über die jahrhunderte zu einer Hohepriesterin erblüht, vom schwachen Papstmädel zu einer glanzgestalt empor steigt, die den papst vollkommen in den schatten stellt, das ist echt spannend und wundertoll genug für mich.
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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #19 am: Oktober 26, 2010, 11:03:17 »
Hi Giles,

Du widersprichst Dich gerade selbst. Du findest es selbst spannend, wie sich das Tarot ENTWICKELT hat. Daraus lese ich, dass es wahrscheinlich gar keine monolithischen, ewiggültigen Grundbedeutungen gibt? Oder gibts aus dem 15. Jhdt. zu den ersten Tarots irgendein Handbuch mit Bedeutungserklärungen, die für Tarot-Profis sakrosankt sind? Oder hat der Golden Dawn Orden die Deutungshoheit? Oder Crowley?

Wenn ja, wenn es so ein Buch aus dem 15. Jhdt. gibt, das die Bibel aller Tarot-Leger/innen sein muss, dann nehm ich alles zurück und will das Buch sofort haben.  :D

Wenn nein, so ist es IMMER Bilderinterpretation! Das Faktum, dass man die Entstehung der Bedeutungen und Bilder kennt und den Kulturkreis kennt, impliziert nicht zwingend, dass es

a) keine Entwicklung gibt (das findest Du ja selbst toll)

und b) nicht auf andere Kulturen übertragbar ist.

Nebenbei bemerkt hat sich das Tarot ja erst im 20. Jhdt. im Zuge der Globalisierung interkulturell vervielfältigt. Es ist also auch eine Form von Entwicklung, wenn eine Native American aus Liebe zum Tarot ein ihrer angestammten Kultur entsprechendes Tarot macht.

Natürlich hat die Päpstin einen anderen kulturellen Hintergrund als eine Schamanin aus dem Altai. Damit hat sie als Symbolbild auch anders vielfältige Interpretationsmöglichkeiten als die Schamanin. Aber angenommen, ich würd jetzt mit einem fiktiven Altai-Tarot legen und da käme dann „die Schamanin“ drin vor, würd ich die Karte in der Legung nicht anders deuten als die Päpstin in einem ollen Tarot aus dem 15. Jhdt. (Ich deute sie meist mit „Konfrontation mit tiefer Weisheit bzw. einer Person, die diese besitzt.“)

Ich sehe also das Übertragbarkeitsproblem nicht wirklich.

liebe Grüße

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Mc Claudia

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #20 am: Oktober 26, 2010, 11:05:45 »
P.S.: Danke für den Buchtipp.

Ich frage mich nur grad, wo bei Dir die Grenze ist zwischen "kreativer künstlerischer Interpretation" des Tarots und "das ist kein Tarot" (wie z.B. das Sola Busca-Tarot)?
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

morgane

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #21 am: Oktober 26, 2010, 11:14:03 »
Zitat von: "Giles"
die geschichte in bildern, die bei einer Päpstin beginnt und über die jahrhunderte zu einer Hohepriesterin erblüht, vom schwachen Papstmädel zu einer glanzgestalt empor steigt, die den papst vollkommen in den schatten stellt, das ist echt spannend und wundertoll genug für mich.

Hi giles!
Ich habe das buch nicht gelesen, aber bei mir spießt sich das mit der hohepriesterin. Eine päpstin oder ein papst ist doch eigentlich etwas ganz anderes als die hohepriesterin, zumindest in meiner auffassung dieser karte.

Ein papst repräsentiert die tradierte lehrmeinung, auch die macht der organisation. Er entspräche in etwa vielleicht eher dem *hohepriester*. Die *hohepriesterin* hingegen ist eine gestalt des inneren wissens, der intuitiven kraft, der verborgenen seite  (*isis unveiled*) der realität - die andere seite der *kaiserin* (die sichtbare natur oder *verschleierte isis*). So zumindest habe ich das zu deuten gelernt. Wie siehst du das?

lg morgane
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Die natur der natur ist allemal übernatürlich (Seth)

barbara

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #22 am: Oktober 26, 2010, 11:22:16 »
Hallo Giles

Zitat
der kulturelle symbolismus wird eben nicht dadurch eingefangemn, dass man sich statt des Papstes einen x-beliebigen menschen mit prieseterfunktion sucht. da ist so viel mehr drinnen. und das geht alles verloren, weil im übersetzen einfach die grundbedeutungen aufgeweicht werden.

Es geht sicher vieles verloren, aber wenn ein native-american oder modernes-Sydney-Tarot (oder was da alles denk- und machbar ist) neu gestaltet wird, kommt auch vieles Neue hinzu, was dann zu dieser Kultur gehört. Und warum sollte das auch nicht Winnetou und das edle Volk der Apachen sein? Solange klar ist, dass sich das nicht auf historische, sondern literarische Realitäten bezieht, sehe ich damit nicht das geringste Problem.

Wo ich dir recht gebe: in neu gestalteten Tarots mag oft die Tiefe fehlen, die die traditionellen Versionen haben. Wenn viele tausend Menschen über viele Jahre oder Jahrhunderte mit diesen Symbolen arbeiten, so wird das extrem vielschichtig - während etwas Neues Gefahr läuft, flach und banal zu werden. Was so sein kann und oft so sein wird, aber wohl nicht unbedingt so sein muss.

Zitat
und gerade darin, den Kaiser mit IRGEND einer autortät gleichzusetzen sehe ich keinerlei plus: andere kulturen haben ihre orakel, die brauchen unser tarot nicht.

Warum sollte das "brauchen" das Kriterium sein? "brauchen" tut ein Mensch fast gar nichts - allerdings gibt es sehr viele Dinge, die trotzdem höchst interessant sind, obwohl sie nicht eine Notwendigkeit sind. Auch wenn es nicht gebraucht wird, so kann es trotzdem interessant und bereichernd sein, ein exotisches Tarot zu zeichnen oder zu benutzen. Sogar dann, wenn das Resultat nicht in jeder Hinsicht überzeugt.

Ausserdem ist es heute schon fast normal, dass die meisten Menschen Eltern oder Grosseltern aus verschiedensten Kulturen haben, oft sogar Eltern, die von verschiedenen Kontinenten stammen - oder Kinder, deren Eltern Ausländer in einem fremden Land sind - und wo folglich Menschen durch ihre Situation logischerweise zwei Kulturen, oft ganz verschiedene Kulturen, als Erbe erhalten und etwas Sinnvolles damit anstellen müssen. für viele ist das ja alles andere als einfach. Und da ist es naheliegend und wohl manchmal tatsächlich ein "brauchen", wenn Elemente beider Kulturen zu einem neuen Ganzen zusammengefügt werden - eine lebendige Entwicklung, alte Zöpfe werden abgeschnitten, aber neue Zöpfe werden auch geflochten.

grüsse, barbara

PS: ich selbst arbeite meist mit Rider-Waite, manchmal mit Crowley. Wenn es vorkommt, dass ich aus einer Legung nicht schlau werde, nehme ich oft die Karte des andern Sets dazu - wenn ich den Wagen in Rider Waite habe, lege ich den Wagen von Crowley daneben, es ist dieselbe Karte, bringt aber ganz neue Perspektiven hinein.

grüsse, barbara
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Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #23 am: Oktober 26, 2010, 12:47:06 »
@Claudia: die "bibel" wäre das Pratesi blatt. Tarot als kartenspiel ist aber wesentlich länger dokumentierbar als das legen der tarot-karten. eine kanonisierte interpretationsweise lehne ich ab. das meiste was in den büchern steht, ist mist, zu 99% unreflektiert von Waite abgeschrieben. und der hatte eine recht tendenziöse sichtweise. gerade weil das tarot eine so tiefgründige sprache spricht, brauchen wir keine interpretationshilfen.

zum tarot in heutiger form: tarot sind 22 plus 56 karten mit bestimmten bezeichnungen. punkt. wenn wer gerne 138 oder 616 karten nehmen mag, dan sei ihm das unbenommen. gerne soll es auch tarot-ähnlich heissen. aber tarot ist es keines.

zur entwicklung und widerspruch: ich habe nichts gegen native american tarot, auch nichts gegen winnetou tarot, wenns das jemals gibt. ich bin nur skeptisch, etwas zu bearbeiten, was man an sich noch nicht verstanden hat.


@morgane: genau darin liegt ja das spannende, dass eben die HPS was anderes ist als die Päpstin und dennoch von ihr stammt. das mag Dich überraschen, aber so ist es halt.

@barbara: so wie Du das spannungsverhältnis zwischen kreativität und tiefe beschreibst, kann ich Dir nur vollkommen zustimmen. zu kulturellen differenzen: es geht nicht darum, woher die grosseltern stammen, sondern nach meiner erfahrung ausschließlich darum, wo wer aufwuchs. ein in paris aufgewachsener japaner tut sich mit tarot 10mal leichter als ein franzose aus shanghai.
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Mc Claudia

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #24 am: Oktober 26, 2010, 17:36:36 »
Hi,

@Morgane:

Gebe Dir Recht, darauf wollte ich auch hinaus. Die Päpstin im Tarot (m.W. entstand die Figur ja vom Mythos der Päpstin Johanna – ich lass jetzt mal offen, obs die gegeben hat oder nicht, das ist fürs Symbol auch nicht so wichtig) wäre eine ziemlich subversive Sache. Zum „Geheimwissen“ oder zur „religiösen Autorität“ die sie viell. symbolisiert käme ein Quäntchen Rebellion dazu. *gg* Die spätere Hohepriesterin hebt sich (wie auch der Hohepriester) voll von der kath. Kirche ab. Beide sind, was die europäische Realität betrifft, ein Phantasieprodukt an Figuren, die eher in einen magischen Orden passen als in die reale Welt von Otto Normalbürger. Das meinte ich auch, dass sich ja schon innerhalb unserer Kultur das Tarot gewandelt hat, Bedeutungsverschiebungen gegeben hat, Symbolwandel stattgefunden hat. Weshalb ich es jetzt auch nicht so tragisch sehe, wenn das Symbolsystem Tarot mit anderen Kulturen kombiniert wird.

@Barbara:

Gebe Dir Recht, auch wenn Winnetou wohl eher ein Kunstprodukt ist. ;)

Zitat von: "Giles"
@Claudia: die "bibel" wäre das Pratesi blatt. Tarot als kartenspiel ist aber wesentlich länger dokumentierbar als das legen der tarot-karten.

Bitte um nähere Erläuterungen zu Pratesi. Ist das ein Deck oder ein Buch? Oder beides? Und kann man das käuflich erwerben?

Das zweite ist mir bekannt.

Zitat von: "Giles"
eine kanonisierte interpretationsweise lehne ich ab. das meiste was in den büchern steht, ist mist, zu 99% unreflektiert von Waite abgeschrieben. und der hatte eine recht tendenziöse sichtweise. gerade weil das tarot eine so tiefgründige sprache spricht, brauchen wir keine interpretationshilfen.

Naja, „keine“ würd ich auch nicht sagen. Wenn man zu legen beginnt, ist man über gscheite Leute oder Bücher recht froh. Das Interpretieren kommt ja dann mit der Übung und dem Reinwachsen in die Materie. Ansonsten geb ich Dir Recht. Nur – das Tiefgründige am Tarot geht eben m.E. nicht verloren, wenn da andere Bildchen und / oder abweichende Beschreibungen drauf stehen, solange der rote Faden „Tarot“ erhalten bleibt. Für mich ist das Interpretation. So wie es eine Bibel gibt und 100.000 Interpretationen dazu. Welche Tiefe und Symbolkraft ist denn jetzt die Richtige? Die Päpstin oder die Hohepriesterin? Die Liebenden als Entscheidung oder als Liebespaar? Die Welt in der Manorla oder die Welt als Frau in den Wolken über einer Erdscheibe? Der schiache Perchtenteufel oder fesche verführerische Jüngling? Der Siegeswagen mit Mann aus dem Rider-Tarot oder der Kultwagen mit Frau aus dem Cary-Yale Tarot? Der Papst oder der Hohepriester? Bube oder Page? Weißt, ich glaube, je mehr ich drüber nachdenk, desto eher komm ich zu dem Schluss, dass jedes Deck für sich schon eine Tiefe entwickelt (oder auch nicht). Dass es also eine Tiefe außerhalb eines bestimmten Decks vielleicht gar nicht gibt? Die Karten leben ja durch die künstlerische Gestaltung. Deswegen gibt’s ja auch so viele Tarots, weil es geradezu zu Kreativität und Nachdenken/forschen animiert.

Zitat von: "Giles"
zum tarot in heutiger form: tarot sind 22 plus 56 karten mit bestimmten bezeichnungen. punkt. wenn wer gerne 138 oder 616 karten nehmen mag, dan sei ihm das unbenommen. gerne soll es auch tarot-ähnlich heissen. aber tarot ist es keines.

OK, wäre für Dich das Cary Yale Tarot ein Tarot (bzw. eine Vorform) oder nur ein Tarot-ähnliches Kartenspielt? Da gibt’s als Abweichung die 6 Hofkarten und drei Allegorien: Glaube, Hoffnung, Liebe. Einige Karten fehlen leider.  Und was wäre jetzt mit Tarots, die statt Bube und Ritter Prinz und Prinzessin haben. Was wäre, wenn die vier Farben leicht abgewandelt sind (z.B. statt Münzen Steine oder Schilde, statt Schwerter – Tomahawks, etc.). Was wäre wenn einzelne oder alle Karten der großen Arkana abweichende Bezeichnungen hätten? Wie groß ist Deine Toleranz? Ist ein Tarot noch ein Tarot, wenn beim Rad des Schicksals z.B. „Lebensrad“ oder „Rad des Karma“ steht? Oder wenn statt dem Magier als Figur eine Magierin dargestellt wäre (mit denselben Attributen)?

Also ich persönlich seh das so: Das Mantegna „Tarot“ ist sicher keines, da geb ich Dir Recht. Das weicht vollkommen ab. Beim Sola Busca würde ich zumindest von einem halben Tarot sprechen (wegen der kleinen Arkana – die ja auch fürs Rider-Waite-Tarot teilweise Pate gestanden haben). Aber bei anderen Tarots, wo der rote Faden eindeutig erkennbar ist, würde ich in jedem Fall von Tarot sprechen.

Zitat von: "Giles"
zur entwicklung und widerspruch: ich habe nichts gegen native american tarot, auch nichts gegen winnetou tarot, wenns das jemals gibt. ich bin nur skeptisch, etwas zu bearbeiten, was man an sich noch nicht verstanden hat.

Naja, das erkennt man ja dann eh an der künstlerischen Gestaltung, ob sich dabei was gedacht wurde oder nicht. Und da es d.E. ja auch nicht so toll ist, nach vorgegebenen Interpretationen zu arbeiten, wird letztlich sowieso jede Interpretation vom individuellen Verständnis geprägt.


@alle:

Was ich an den kulturellen Tarots irgendwie witzig finde: Einige sind von Indigenas selbst gestaltet. Das nenn ich einfach Globalisierung. Wir Westler gucken nach Ost, West und Süd, um unsere Spiritualität zu bereichern, und die Chinesen werden katholisch, und andere malen sich einfach ihre eigenen Tarots. Ich finde diesen kulturell-spirituellen Austausch einfach nur spannend und – eigentlich positiv.

liebe Grüße

Mc Claudia
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Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #25 am: Oktober 26, 2010, 21:07:52 »
Zitat von: "Mc Claudia"
Bitte um nähere Erläuterungen zu Pratesi. Ist das ein Deck oder ein Buch? Oder beides? Und kann man das käuflich erwerben?

Franco Pratesi fand anfang 18. Jhdt. in der Bibliothek von Bologna ein anonymes Blatt auf, es enthält zu einigen Karten ganz frühe Interpretationen: “Engel“ (= Gericht), Welt, Sonne, Mond, Stern, Teufel, Tod, Verräter (=Gehängter), Alter Mann (=Eremit), Stärke, Ausgleich, Wagen, Liebe, „Bagattino“ (=Magier), Narr; Zehn und As der Schwerter, Hofkarten und As der Stäbe, sowie Hofkarten, Zehn und As der Kelche und Münzen. Wie alt das Blatt selbst ist, ist mW unbekannt.

Zitat von: "Mc Claudia"
OK, wäre für Dich das Cary Yale Tarot ein Tarot (bzw. eine Vorform) oder nur ein Tarot-ähnliches Kartenspielt?
ähnlich
Zitat von: "Mc Claudia"
Und was wäre jetzt mit Tarots, die statt Bube und Ritter Prinz und Prinzessin haben.

Tarot
Zitat von: "Mc Claudia"
Was wäre, wenn die vier Farben leicht abgewandelt sind (z.B. statt Münzen Steine oder Schilde, statt Schwerter – Tomahawks, etc.).
immer noch Tarot
Zitat von: "Mc Claudia"
Was wäre wenn einzelne oder alle Karten der großen Arkana abweichende Bezeichnungen hätten?
ist völlig egal, weil die aufschriften eigentlich nur orientierungshilfen sein sollen, die später hinzugefügt wurden
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
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barbara

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #26 am: Oktober 26, 2010, 21:17:41 »
Zitat von: "Mc Claudia"
Gebe Dir Recht, auch wenn Winnetou wohl eher ein Kunstprodukt ist. ;)

ja eben - eine literarische Realität, nicht eine historische.

Doch auch literarische und filmische Realitäten können ja Kulturen sehr stark prägen. Muss nicht Winnetou sein, der doch noch eine gewisse Verankerung in der Realität hat (echte Namen, echte Orte, Old Shatterhand als angeblich echter Indianername von Karl May...), sondern auch total Fiktives wie Star Trek oder Herr der Ringe oder Harry Potter. Ron Weasley als Bube der Kelche und Mami Weasley als Königin der Münzen und Dumbledore als Eremit und Hagrid als "die Kraft" kann ich mir sehr gut vorstellen.

... und tatsächlich, ein Harry Potter Deck ist am Entstehen: :D
http://www.nasubionna.net/tarot/

grüsse, barbara
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Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #27 am: Oktober 26, 2010, 21:23:48 »
Zitat von: "Mc Claudia"
Oder wenn statt dem Magier als Figur eine Magierin dargestellt wäre (mit denselben Attributen)?
an sich auch Tarot. Wieso soll eine frau nicht magier sein ? es steht allerdings zu wünschen, dass der schöpfer solchen Tarots auch vif genug ist, zu erkennen, dass dann unter kabbalistischen gesichtspunkten die HPS ein HP werden müsste, was wieder beim HP seine probleme schafft. das ist ein derartig ausgefinkeltes system, das man halt einmal begreifen muss. und obwohl ich mich seit fast 25 jahren damit beschäftige und teilweise sicher mehr "weiss" als die meisten die selber darüber schreiben (wenn ich sie am geschriebenen messen darf und soll) bin ich mir bewusst, nur etwas mehr getan zu haben als in die ersten zwei, manchmal drei schichten einzutauchen. deshalb bin ich skeptisch, allzu unbekümmert neuerungen einzuführen. aus respekt, aus hochachtung, aus dankbarkeit. genau aus den selben gründen bin ich aber auch gegen jede form von versteinerung. ich möchte nur ausreichend sachverstand und feingefühl dabei haben.

Zitat von: "Mc Claudia"
Beim Sola Busca würde ich zumindest von einem halben Tarot sprechen (wegen der kleinen Arkana – die ja auch fürs Rider-Waite-Tarot teilweise Pate gestanden haben).


es hat komplett andere große arkana. wenn Du nach den kleinen gehst, dann tun es ergänzte rummy karten auch. das besondere  am tarot sind ja gerade die großen arkana. und die paar karten die Waite verwendet hat, noch dazu tw. verdreht (10 schweter versus stäbe), das ist nicht sooo beeindruckend.

zur HPS / Päpstin kommt gesondert was.
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
homo homini lupus

Giles

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #28 am: Oktober 26, 2010, 21:29:30 »
copyright by Giles aus "78 Fenster zur Welt"
(vielleicht verkaufe ich mein buch ja einmal ;)

Die Hohepriesterin; Päpstin, Papessa, Hierophantin

For, as the God Himself kissed Her feet in the five-fold salute,
laying His power at the feet of the Goddess
because of Her youth and beauty, Her sweetness and kindness,
Her wisdom and justice, Her humility and generosity
(Wiccan Law No. 14, as published by Janet Farrar)

Eine beliebte Legende des Mittelalters handelt von einer Frau namens Johanna die, als Mann verkleidet und unter dem Namen Johannes Angelicas, zu den höchsten Kirchenämtern empor steigt, schließlich sogar zum Papst, nämlich Johannes VIII. (854-856) gewählt wird. Sie wird als Papst schwanger und stirbt während der Geburt nahe dem Kolosseum. Historisch ist das nicht zu belegen1. Wo diese „Päpstin“, der Legende folgend, bildlich dargestellt wurde, fehlte niemals ihr Kind2 – sie ist daher kaum die Päpstin des Tarot.

Nachgewiesen und gut dokumentiert ist weiters, dass Ende des 13. Jahrhunderts eine oberitalienische Sekte eine „Päpstin“ wählte, und zwar eine gewisse Schwester Manfreda, bei der es sich um eine Verwandte der Familie Visconti handelte. Dieselbe Familie Visconti gab später das erste nachweisbare Tarot-Kartendeck in Auftrag, es darf daher angenommen werden, dass ein gewisser Zusammenhang besteht.3

Diese Darstellung der „Päpstin“ wurde jahrhundertelang von der Kirche unterdrückt oder verzerrt (so wird die „Hure Babylon“ aus der Apokalypse des Johannes in der illustrierten Lutherbibel, Wittenberg, 1534, mit päpstlicher Tiara dargestellt), nicht weil die Erinnerung an Frau Visconti so gefährlich gewesen wäre, sondern weil darin ein weibliches Konzept der Spiritualität zum Ausdruck kommt, das mit dem der (katholischen) Amtskirche recht wenig gemein hat, ja einfach nicht vorkommt. Gehörten in der Antike Frauen selbstverständlich zur Priesterschaft, waren bestimmte Ämter Frauen explizit vorbehalten, so hat das Christentum seine frühen weiblichen Heiligen (die sehr präsenten Marias etc.) in seiner weiteren Geschichte ganz gut aus der offiziellen Theologie, wenn auch nicht dem Alltag der Kirchen verdrängt, die Frau an sich auf ein so hohes Podest gestellt, dass sie schließlich unerreichbar war und weibliche Spiritualität als reine asketische Veranstaltung hinter Klostermauern unter Ausschluß der Öffentlichkeit definiert, weibliches Priestertum bis heute zur Gänze verboten. Ihr Archetypus wurde daher primär in Märchen in der Gestalt der „guten Fee“ bewahrt4.

Dem gegenüber steht das eigentlich überraschend starke Engagement von Frauen in der Kirche einerseits - man denke, wenn auch vielleicht milde lächelnd, an das vertraute Bild frömmelnder älterer Damen, die sich um den Pfarrer scharen. Doch selbst im 15. Jhdt., wurden Venus und Isis durchaus intensiver dargestellt, als in jener Zeit ungefährlich gewesen wäre, etwa in der Geschichte des Jacopo von Bergamo (1483) oder der „Hyperotomachia Poliphili“ des Leon Battista Alberti (1499)5. Darin zeigt sich ein Bedarf, eine Sehnsucht.

Andererseits erschuf dieses Engagement der weiblichen Laien a la longue auch eine eigene, weiblich geprägte Transzendenz (wieder), zunächst in der Renaissance, dann etwa durch die Prä-Raphaeliten, letztlich im Neuheidentum. Einen Übergang zeigt die Rider/Waite Darstellung der Päpstin als Hohepriesterin und zwar nicht von irgendwo, sondern gleich des Tempels von Jerusalem selbst, wie am „B“ und „J“ an den Säulen oder dem Vorhang dazwischen erkenntlich ist. Auf ihm, vielleicht ist es der Vorhang, der bei der Kreuzigung Jesu zerreißt, sind die Sephiroth abgebildet.
Bei Wirth steht ihr Thron zusätzlich auf musivischem Pflaster, das auch Element eines Tempels ist.
Die Hohepriesterin sitzt, jedenfalls seit dem Rider/Waite, zwischen den Säulen und bildet so die dritte Säule in der Kabbalah, den mittleren Weg von Malkuth über Yesod zu Tiphareth und darüber hinaus. Sie ist der Mittelweg6, die Balance, der Ausgleich, zwischen schwarz und weiß, Yin und Yang.

Ihr Priestertum bezieht sich auch nicht auf einen männlichen Gott, sondern eine Göttin, wie durch die (als drei Mondphasen erkennbare) Hathor-Krone im Rider/Waite symbolisiert wird, in vielen anderen Interpretationen durch wiederholte Darstellung des Mondes, tw. auf modischen Abwegen sogar an den Schuhen. Im Rider/Waite befindet sich zu ihren Füßen ein aufgehender Halbmond, ein Symbol das aus der Antike stammt und vom christlichen Marienkult übernommen wurde. So steht z.B. auch die Madonna in Heiligenblut (Österreich) auf einer Mondsichel. Die Darstellung der Hohepriesterin  ist oft stark an der verschleierten Isis angelehnt -  sogar „die Päpstin“ war zum Teil verschleiert, O´Neill7 geht so weit, die Hohepriesterin überhaupt rein als Darstellung der Isis anzusehen. Wieder ab Waite befindet sich zwischen den Säulen oft ein Schleier, darauf Granatäpfel was sie wieder in die Nähe der antiken Legende von Demeter und Persephone rückt. Der Schleier wird auch als derjenige gedeutet, der bei der Kreuzigung Christi zerriss.

Die Hohepriesterin trägt meist einen Mantel, der entweder in Rot (z.B.: Wirth-Tarot) oder Blau8 gehalten ist. Diese Zweiteilung stammt  vielleicht aus der traditionellen christlichen Darstellung der Gottesmutter Maria mit blauem oder purpurnem Mantel9. In der Farbe Rot wird ihr Amt als Hohepriesterin weiblicher, Leben spendender Mysterien betont; im Blau liegt ein Hinweis, dass sie nicht an einen Mann, sondern nur an ihre Göttin gebunden ist. Ebenso kann das Blau als Referenz zur See und damit zum Mond gedeutet werden. Der Nachthimmel hingegen ist der Kaiserin vorbehalten.

Bei Waite hält sie das Buch des Wissens, was an sich nicht so stimmig ist, weil gerade weibliche Esoterik keine Buchtheologie ist und die Buchreligionen es sind, die die Rolle der Frau im Priestertum abschneiden. Die Hohepriesterin ist gelebte Spiritualität, nicht geschriebene. Das Buch ist mit „Tora“ beschriftet, was immerhin auch als Anagramm zu Taro(t) gelesen werden kann (vgl. dazu näher bei „Das Rad des Schicksals“) und damit einen jedenfalls weit gefaßten Weisheitsbegriff andeutet – Wirth geht weiter und läßt das Buch ohne Titel, nur geschmückt durch das Symbol von Yin/Yang.
In neueren Darstellungen treffen wir die (oft neo-heidnisch dargestellte) Hohepriesterin ganz ohne Bezug zu einer Buchreligion, dafür mit einer Fülle von Anspielungen auf bzw. Darstellungen von Ritualen und sonstigen Interna von Asatru, Wicca und dergleichen, etwa im Pagan Tarot von Lo Scarabeo. Die Idee der Päpstin eines nur männlichen Gottes wurde so im nächsten Schritt zur Priesterin einer Göttin und dann, als Synthese, Hohepriesterin eines Gottesbildes, das beide Geschlechter umfaßt, umgedeutet.
Insofern hat auch die kabbalistische Zuordnung „Gimel“ (= Kamel) ihre Berechtigung: Das Kamel trägt von einer Oase (Tiphareth) durch die Wüste (Daath) zum Ziel (Kether) und es braucht die Tugenden und Eigenschaften der Hohepriesterin, wovon Beständigkeit eine der vornehmsten ist, um an der Wildnis nicht zu verzweifeln, sondern schlußendlich an das Ziel zu gelangen.

Auf diese Art ist die Päpstin als Hohepriesterin zunächst über den Papst und dann sogar sich selbst hinaus gewachsen.
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Mc Claudia

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Re: Tarot, Kelten, Frust und Lust
« Antwort #29 am: Oktober 26, 2010, 22:03:56 »
Hi Giles,

wow. Vielen Dank für die ausführlichen Ausführungen und Antworten.  :)

Die 25 Jahre seit meinem ersten (selbstgebastelten!) Tarot bring ich zwar auch auf (mei mia wean oid...), hab mich aber wahrscheinlich nicht soooooooo intensiv damit beschäftigt wie Du (mir sind blöderweise die Kelten dazwischengekommen  :D  ).

OK, blöde Frage:

Du redest immer davon, dass da sooooooooo viel Symbolik, Tiefsinn, Geheimnis etc. drin ist, dass man sich da urgut, bestens auskennen soll, um nur annähernd was zu kapieren. äh. Was genau? Ist es die Kabbalah? Und wenn ja, seit wann wird sie als Symbolsystem mit dem Tarot in Verbindung gebracht? Denn das Tarot allein kanns ja nicht sein. Lernt sich jedenfalls schneller als Quantentheorie oder Altirisch.  :goofy: Also, konkret: waren die ersten Kartenerfinder/innen und Künstler/innen auch Kabbalisten und haben da die Symbolik reingetan, oder kam das erst mit dem 18./19. Jhdt. und den magischen Orden?

Und ja, bring gefälligst Dein Buch raus, dann muss ich nimmer so blöd fragen!  :D

Liebe Grüße

Mc Claudia
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