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Glauben

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Mc Claudia:
Hi,

ich möchte einen Thread mit einer Behauptung eröffnen:

„Jede Form der Religion, Magie und Mystik basiert auf Glauben an Dinge, die sich nicht beweisen lassen. Auch spirituelle Systeme, wenn sie unbeweisbare Dinge behaupten, beruhen auf Glauben.“

Ich komme zu diesem Schluss nach einigen Atheismus-Büchern und viel hin-und-her-Grübeln und Diskussionen.

Mystische Systeme sowie einige Sparten heidnischer (v.a. auch neuheidnischer) Religionen oder Spiritualitäten (für alle, die den Begriff Religion nicht mögen) behaupten ja gerne, es gäbe einen gravierenden Unterschied zwischen Glaubensreligionen (z. B. die 3 abrahamitischen) und Erfahrungsreligionen (z. B. Stammesreligionen, Schamanismus, Buddhismus, Teile des Hinduismus ....).

Die Argumentation ist ungefähr so: Glaubensreligionen verlangen von den Gläubigen, zu glauben, und fertig. Ohne innere Erfahrungen. Deshalb seien Glaubensreligionen nicht so „tiefgründig“, „echt“, „authentisch“, „realistisch“, „natürlich“ ....

Die Erfahrungsreligionen (bzw. die Spiritualität oder Mystik oder wie auch immer) beruhen nie auf Glauben sondern nur auf Erfahrung, z.B. durch Trance, Meditation, Ekstase, direkter Erfahrung der Gottheiten. Niemand wird da gezwungen, etwas zu glauben. Glauben muss man nicht, weil man die Anderen Welten, das Sein an sich, die Gottheiten, Geister etc. erfährt.

Ich weiß nicht mehr – war es Starhawk oder Budapest –, die folgenden erhellenden Dialog wiedergab:

Frage: „Glaubst Du an die Göttin?“
Gegenfrage: „Glaubst du an Steine?“

Damals, als ich das las (ewig her), fand ich diese Antwort sehr schlagkräftig und durchaus schlüssig. Die Göttin ist pantheistisch in der Natur, und die ganze Erde ist die Göttin.

Denkt man allerdings näher drüber nach, ergeben sich doch einige Ungereimtheiten, wie ich meine.

Steine sind real. Jeder Mensch, der seine 5 Sinne beinander hat (oder auch nur ein paar davon), wird ähnliche Erfahrungen machen, wenn er/sie Steine sieht, berührt, daran riecht, darauf steigt. Was ich damit sagen will: Ich muss dem kritischen Rationalismus und ähnlichen Denkungsarten Recht geben: es gibt eine reale Welt, die von allen in einer Weise erfahrbar ist. Je ähnlicher sich die Lebewesen (also wir Menschen), desto ähnlicher die Erfahrungen. Wissenschaftliche Methoden können zu Erkenntnissen führen, die allgemeine (objektive) Aussagen über Teile dieser Realität treffen.

Ob der Stein aber eine Göttin ist, ist eine Behauptung. Denn Göttinnen kann man mit den fünf Sinnen nicht erfahren. Es sei denn, ich nenne jedes Ding Göttin, dann erübrigt sich aber die Göttin selbst und ich kann gleich Atheistin bleiben.

Jede Art von Trance, innerer Erfahrung durch Meditation, Ekstase, Mystik ist genau das: eine innere Erfahrung. Es ist zwar nett, eine innere Erfahrung zu haben und für den menschlichen Lebensweg eine durchaus fördernswerte Sache, aber für gewöhnlich haben solche Erfahrungen nur für den Menschen, der die Erfahrung hat, eine Bedeutung. Denn sie lassen sich von der Art her vielleicht objektivieren (z.B. durch Messung der Gehirnaktivitäten, Blutdruck, Muskelent- oder anspannung, Sammlung von Erfahrungsberichten), und man wird da durchaus viel Ähnliches finden, weil menschliche Gehirne nun mal alle sehr ähnlich sind, aber das war’s auch schon.

Würde man Behauptungen aus Erfahrungen in Trance (z.B. orakelhafte Einsichten) mit denselben strengen Methoden messen, die die Wissenschaft für gewöhnlich bei solchen Behauptungen anlegt, überprüfen, würde sich ein eher unlustiges Bild ergeben. Das heißt: Erfahrungen in Trance u.ä. sind immer subjektiv und können nicht objektiviert werden. Das heißt, wenn zwei Menschen in Trance gehen, werden sie wahrscheinlich verschiedene Erfahrungen machen.

Es sei denn – sie sprechen sich vorher ab. Oder es ist ein Thema vorgegeben. Oder – sie haben denselben GLAUBEN, oder auch nur dieselben kulturellen Erfahrungswerte. Ein moderner Mensch wird Außerirdische sehen, wo ein Christ vielleicht Engeln begegnet, ein Hindu einer Göttin und ein Zen-Buddhist einfach nur Satori erlebt.

Es hängt also sehr wohl von der kulturellen Prägung und vom Glauben ab, ob so innere Erfahrungen in die eine oder in die andere Richtung gehen, ob sie von Bedeutung sind und mit Sinn und Dogma aufgeladen werden oder einfach nur als schönes Erlebnis wahrgenommen werden.

Ich behaupte also: jede noch so vernünftig klingende Form der spirituellen Lehre basiert vor allem auf Glauben. Glauben an mehrere Leben ist nicht rationaler als Glauben an persönliche Gottheiten. Der Glaube an ein Universum, das sich freut, wenn man danke zu ihm sagt, ist nicht rationaler als der Glaube an das Herumschwirren von Wiedergängern. Der Glaube an einen Gott, der das Universum erschaffen hat, ist nicht rationaler als der Glaube daran, dass das Spaghettimonster die Welt einst erretten wird. Der Glaube, dass man alleine mit einer rituellen Handlung (Magie) einen Menschen, der davon nichts weiß, beeinflussen kann, ist nicht rationaler als der Glaube an den jüngsten Tag.

Tatsächlich wäre eine Spiritualität ganz ohne Glauben eine atheistische absolut undogmatische, ausschließlich persönliche. Ich erfahre etwas in Trance, mache aber daraus keinen Glauben und ziehe Erkenntnisse daraus nur für mich, ohne andere Menschen damit zu belästigen. Wenn ich eine Göttin in einer Trance sehe, bin ich mir klar, dass es Produkt meines Unbewussten, also früherer Erfahrungen oder Wahrnehmungen ist. Das wäre Spiritualität ohne Glauben.

In dem Moment, wo ich Behauptungen aufstelle, die ich fürwahr halte, von denen ich will, dass andere sie auch (ohne Beweis!) fürwahr halten, glaube ich, habe ein Dogma. Und da kann ich mich noch so naturreligiös schimpfen oder so unreligiös – ich bin längst religiös mit solchen Aussagen (wenn man Religion jetzt als Glauben und Glaubensdogma definiert).

Umgekehrt haben alle Schriftreligionen ebenfalls Trancemethoden, sogar die unspirituellsten. Ein Muslim, eine Christin oder ein Jude ist nicht weniger spirituell als ein Schamane. Das heißt, auch in Glaubensreligionen gibt es die göttlichen Erfahrungen. Und dass man Menschen zum Glauben nicht zwingen kann, ist allen drei Relis klar. (Was nicht heißt, dass ihre fanatischen Vertreter/innen es nicht trotzdem tun – nämlich andere suchen zu zwingen, aber das ist eine andere Geschichte.)

Weiters: Tiefer Glaube kann auch Erfahrungen hervorrufen. Das heißt, nicht nur die Richtung: Erfahrung > Glaube funktioniert, sondern vor allem auch die umgekehrte Richtung: Glaube > Erfahrung. Ich denke sogar, dass zweiteres wesentlich öfters vorkommt.

Soweit meine These.


Liebe Grüße

Mc Claudia

Occam's razor:
Hiho!


--- Zitat ---„Jede Form der Religion, Magie und Mystik basiert auf Glauben an Dinge, die sich nicht beweisen lassen. Auch spirituelle Systeme, wenn sie unbeweisbare Dinge behaupten, beruhen auf Glauben.“
--- Ende Zitat ---

Aber unbedingt.

Der Unterschied besteht dann in Folge "nur" daß, ich sag einmal, der Glaube so stark wird,
so erfahren wird, daß daraus "Wissen" wird.
Also...Glaube, Level 2.
 :D

Wenn eben aus einem Stein ein Teil der Göttin, oder sogar die Göttin selbst wird.
Und das auch so ist.

Deswegen bleibt es aber trotzdem unbeweisbar.
Und Teil eines Glaubenskonstruktes.

Baba,
          A.

Giles:
verstehe ich Dich richtig, dass die er-fahrung des glaubens und die er-fahrung der "realität" dann letztlich wieder eins sind?

barbara:
Hallo zusammen

meine Gegenthese:

jede Spiritualität, die diesen Namen verdient, beruht vor allem auf Erfahrungen, und daraus folgend auf einer sinnvollen, angemessenen Deutung dieser Erfahrungen.


Von daher sind Beweise im wissenschaftlichen Sinn nicht notwendig: denn was ein Mensch erlebt oder auch nicht, weiss jeder selbst - die Deutung hingegen ist nichts, was bewiesen werden kann oder müsste, sondern eine Sache der Beurteilung, wofür es bessere und schlechtere Argumente gibt.


--- Zitat ---Was ich damit sagen will: Ich muss dem kritischen Rationalismus und ähnlichen Denkungsarten Recht geben: es gibt eine reale Welt, die von allen in einer Weise erfahrbar ist.
--- Ende Zitat ---

Da hat der kritische Rationalismus unrecht, behaupte ich: alle erfahren die Welt auf sehr verschiedene Weise. Was schon auf Menschen zutrifft, die durch ähnliche Erziehung und ähnlichen kulturellen Hintergrund ähnlich ticken. Nur schon der gleiche Mensch, der einmal hungrig vor einer Mahlzeit und das zweite Mal satt nach einer Mahlzeit vor ein Objekt gestellt wird, wird es vorher und nachher sehr unterschiedlich wahrnehmen.

Eine Welt gibt es durchaus - die wir aber alle wechselhaft, immer anders wahrnehmen.

Und eine Unterhaltung über eine Wiese, die wir beide gesehen haben, ist nicht *realer* als eine Unterhaltung über das, was in einem Ritual passierte, an dem wir beide teilnahmen.



--- Zitat ---Es hängt also sehr wohl von der kulturellen Prägung und vom Glauben ab, ob so innere Erfahrungen in die eine oder in die andere Richtung gehen, ob sie von Bedeutung sind und mit Sinn und Dogma aufgeladen werden oder einfach nur als schönes Erlebnis wahrgenommen werden.

--- Ende Zitat ---

Deko, also Namen, Ausgestaltungen, Attribute ändern sich kulturabhängig - Archetypen und Strukturen sind immer dieselben, oder doch mit sehr vielen Gemeinsamkeiten udn Ähnlichkeiten quer durch Völker, Sprachen, Zeiten und Kulturen.

grüsse, barbara

Giles:

--- Zitat von: "barbara" ---Deko, also Namen, Ausgestaltungen, Attribute ändern sich kulturabhängig - Archetypen und Strukturen sind immer dieselben, oder doch mit sehr vielen Gemeinsamkeiten udn Ähnlichkeiten quer durch Völker, Sprachen, Zeiten und Kulturen.

--- Ende Zitat ---

von europa über afrika (soweit ich das kenne) und indien: ja.
für den ostasiatischen bereich stimmt das so nicht.
der kaiser ist dort was anderes als bei uns, ebenso wie zB der weise.
das stehen anders geartete archetypen dahinter.

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