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Was bedeutet Heidentum für mich?

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Mc Claudia:
Hi,

in der heißen Diskussion zum Pagan Piper Project hat Nordana geschrieben:

viewtopic.php?f=11&t=881&start=15#p11814

Nordana schrieb:
"Ja, bezüglich "Heiden" hatte ich nun kürzlich ein befremdliches Erlebnis. Letzte Woche hatte die halbe Band (aus individuellen Zeitgründen nur eben die Hälfte) einen Testauftritt bei einem openmic. Wir spielten 2 Lieder (wie alle anderen Künstler dort). Da traf ich einen alten Bekannten und er fragte mich, zu welchem Thema wir Musik machten. Ich erzählte ihm von den Jahreskreisen und von den Heiden. Beim Wort "Heiden" war er etwas irritiert und fragte, ob wir alle damit meinten, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder eben nicht christlich sind. Ich sagte ihm, ja das auch und es handelt sich meist um Naturreligionen und vielleicht eher um einen animistischen Zugang. Ich erzählte ihm dann auch etwas von den keltischen Festen. Aber seine Frage brachte mich erst aus dem Gleichgewicht. Denn klar, für Dritte ist "Heiden" nichts anderes als alle, die die christliche Kirche nicht die ihren nennt. Der Begriff ist ja von der christlichen Kirche geprägt worden. Ja vielleicht sogar erfunden worden? So gesehen, kam ich wieder auf das, was wir oft im Wurzelwerk-Forum diskutiert hatten: Dass der Begriff Heide für uns einerseits passend aber andererseits auch nicht völlig passend ist. Bzw. ist es ein Dilemma, dass wir kaum einen anderen Begriff für uns finden. Eine alte Mähr... "

Barbara meinte, man könne eine Diskussion starten, was Heiden sind, was es bedeutet, und ich bin der Meinung, das sollten wir wieder mal machen  :)

Da ich aber mit dem Vorwissen diesen Thread eröffne, dass jede/r hier unter Heidentum was anderes versteht und sich letztlich nur eine Schnittmenge, ein verschlungener roter Faden ermitteln lässt, will ich gar nicht drüber diskutieren, was richtig oder nicht richtig ist - denn "Heidentum" ist ein schwammiger Begriff, der alles mögliche bedeuten kann, u.a. folgendes:

- bunte lustige Traditionen und Feste innerhalb von Religionen
- positiver, ritueller Standpunkt zur Sexualität
- spiritueller Natur-Diskurs oder sogar Natur-Dogma
- Naturreligion (was immer das auch ist) ....
- Polytheismus
- Animismus
- Pantheismus
- Panentheismus
- Atheismus
- Agnostizismus
- NIcht-christliche Religionen
- Nicht-muslimische Religionen
- Nicht-jüdische Religionen
- Nicht-monotheistische Religionen
- Bräuche, die man aufgrund ihrer Grausamkeit für überwunden glaubt
- Lebensfreude in der Religion/der Spiritualität
- Leben im Einklang mit der Natur
- usw.

Was also bedeutet für Euch Heidentum? (Vorausgesetzt, Ihr würdet den Begriff für Euer spirituelles Tun hier überhaupt verwenden.) Aber auch für all jene, die den Begriff nicht für sich verwenden - warum nicht? Wie nennt Ihr Euer spiri. Tun im Überbegriff dann?

Wichtig wäre mir, in diesem thread zu schaun, dass man konkrete, definierbare Begriffe verwendet, die man mit Heidentum in Verbindung bringt, also keine Gefühligkeiten, sondern Erklärbares, Verstehbares.

Liebe Grüße

Mc Claudia

Mc Claudia:
Ich beginne mal:

Heidentum bedeutet für mich persönlich eine Religion (Religion definiert als Gesamtheit von Dogma-Ritus-Mythos), die vermehrt folgende Punkte beinhaltet. Das heißt, es gibt m.E. kein klares, reines Heidentum, sondern aufgrund der Schwammigkeit des Begriffes nur Religionen, die mehr oder weniger oder auch gar nicht heidnisch sind. Diese für mich wichtigen Punkte sind:

- Polytheismus (ist mir ganz wichtig, m.E. sind monotheistische Religion per definitionem nicht heidnisch, auch schon aus der Geschichte des Begriffs "Heidentum" nicht, der ja v.a. von den monotheistischen Religionen für das "andere" geprägt wurde).
- Animismus (Glaube an die Beseeltheit von Dingen und natürlichen Phänomenen)
- Diesseits-Orientierung (keine moralische Konsequenz im Jenseits, kein Karma)
- do-ut-des-Prinzip
- Pluralismus (fehlender absoluter Wahrheitsanspruch, bei Kulturkontakt leichte Integration anderer Gottheiten und Riten)
- Stammesdenken (meine Götter, deine Götter. Verbindung von Religion, Politik, Moral und Gemeinschaft zu einem Einzigen.)
- traditionelle Entwicklung (das heißt, kein Religionsgründer, kein Guru)

Von der Chronologie würde ich vier Sorten Heidentum nennen:
- traditionelles Heidentum, das heißt, z.B. Shintoismus, Voodoo, etc. Traditionen ohne Bruch, die heute noch existieren
- wieder belebtes Heidentum: z.B. baltisches Heidentum. Heidentum, das nur ein paar Generationen verboten war und leicht zu rekonstruieren ist.
- rekonstruiertes Heidentum: Heidentum, das nur mehr aus der Geschichte bekannt ist (Kelten, Römer, Germanen....) und (re)konstruiert wird
- neue Kulte (zB. Wicca). Das heißt, ein modernes spirituelles Paradigma, das sich Teile aus anderen Heidentümern nimmt.

Die Grenzen sind fließend. Rein und klar ist selten was.

Für mich persönlich bedeutet der Begriff "Neu" in Neu-Heidentum, dass meine Ethik eine moderne, an den Menschenrechten orientierte, ist und Individualismus für mich eine große Rolle spielt. Das heißt, von den oben genannten Punkten verweigere ich Stammesdenken, und eine traditionelle Entwicklung ist bei einem Recon-Heidentum natürlich auch nicht gegeben, es ist ein Novum. Mit den anderen Punkten (Polytheismus, Animismus, do-ut-des-Prinzip, Diesseits-Orientierung...) gehe ich voll d-accord.

So sieht mein Heidentum-Begriff aus.

Wie seht Ihr das?

liebe Grüße

Mc Claudia

AnufaEllhorn:
Well met, Mc Claudia ;)

Zuerst einmal "Hut ab", dass Du Dir das wieder mal antun willst  :thumbsup: zweitens dann gleich nochmal, weil die knappe Beschreibung für Religion "Gesamtheit aus Dogma, Ritus und Mythos" für mich ein wunderschöner Startpunkt ist. Ich persönlich würde da noch die Mystik mit hineinnehmen und dann ist das für mich supergriffig!!!

Damit fange ich an, dass ich meine Religion (Gesamtheit aus Dogma, Ritus, Mythos und Mystik) zwar als heidnisch betrachte, ansehe und auch so benamse - aber "das Heidentum" als nicht greifbar/vorhanden einstufe. HeidenTUM würde imho "Gemeinschaft der Heiden" voraussetzen oder zumindest eine nennenwerte, greifbare Gruppe, die nach ebenfalls greifbaren, selben Grundlagen agiert und die gibt´s nicht  :D also beschränke ich mich auf "heidnisch". Neuheidnisch verwende ich bewusst NICHT, weil mir der Esobereich ziemlich auf die Socken geht  :doh:

>Wichtig wäre mir, in diesem thread zu schaun, dass man konkrete, definierbare Begriffe verwendet, die man mit Heidentum in Verbindung bringt, also keine Gefühligkeiten, sondern Erklärbares, Verstehbares.

Da dran will ich mich gern halten ... als heidnisch betrachte ich:
1. eine Glaubensrichtung, die keiner Staatsreligion Europas angehört - imho der kleinste gemeinsame Nenner für "heidnisch"  ;)
2. jemand, der sich selber als Teil der Natur empfindet und auch so agiert (dazu gehört ein gewisses Ökobewusstsein für mich genauso wie Gesundheitsbewusstsein oder humanitäre Ansichten) - also generell bestrebt ist, mit seinem Leben und Tun den kleinst möglichen Schaden an sich selber und schlichtweg allem was exisitiert anzurichten
3. jemand, der seine Gottheiten ebenfalls als in der Natur, in sich selber und im System immanent sieht (für mich eher "Ursache-Wirkung" als allmächtige Wirkmacht) - also generell bestrebt ist, seinen Glauben integriert zu leben und andere damit "in Ruhe" zu lassen (JEDER hat das RECHT auf seinen eigenen Glauben, trifft sich´s isses schön, aber verbiegen ist nicht drin)
4. jemand, der ob des Naturbezugs den Zauber des Seins erlebt und lebt (und deshalb banal erklärbare Dinge auch nicht Zwansmystifizieren muss) - also generell Wissenschaft als durchaus sinnvoll betrachtet (sie als EINE durchaus valide Möglichkeit die Welt zu erklären, die genauso richtig/fehlerhaft/was auch immer ansieht, wenn auch nicht die einzige!!) und Religion als genauso sinnvoll
 ...
so und nu muss ich unterbrechen, weil ich mir den heurigen Yule-log aus dem Wald holen geh ;)

Freyjatru:
Für mich ist Heidentum, eine Religion, die sich in irgendeiner Weise eine Interpretation der antiken europäischen Religion in Zentrum stellt. Asiatische Religionen, wie z.B. Shintoismus, wären demnach für mich nicht heidnisch. Personen, die neben antiken Gottheiten auch alles andere, was irgendwie interessant ist, sind für mich Synkretisten oder Universal-Spirituelle, aber keine Heiden.

Bei den Heiden unterscheide ich weiters:
Recon-Heiden: Bei Recon-Heiden ist alles, was in der Vergangenheit war, gut. Neue Interpretationen sind abzulehnen (Z.B. die GGG)
Traditionelle Heiden: Heiden, die ähnlich wie Recon-Heiden eher sich an Traditionen orientieren, aber in ihrem Wirken ganz klar abgestimmte und festgelegte Neuinterpretationen zulassen (Z.B. Wicca)
Progressive Heiden: Heiden, die offen für neue Interpretationen sind.

Mc Claudia:
Hi Anu,

danke für Deine ausführliche Antwort.


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---Zuerst einmal "Hut ab", dass Du Dir das wieder mal antun willst  :thumbsup: zweitens dann gleich nochmal, weil die knappe Beschreibung für Religion "Gesamtheit aus Dogma, Ritus und Mythos" für mich ein wunderschöner Startpunkt ist. Ich persönlich würde da noch die Mystik mit hineinnehmen und dann ist das für mich supergriffig!!!

--- Ende Zitat ---

Mystik - also ich bezeichne das jetzt mal als spirituellen individuellen Weg - ist in vielen Religionen Teil davon, aber nicht in allen. Beim herkömmlichen Islam oder Christentum gehts erstmal um Glauben. Ob der/die einzelne mystische Erfahrungen macht, ist nebensächlich. Umgekehrt ist in vielen anderen Religionen der nach außen getragene Glauben eher wurscht, solange man sich brav an die Tradition hält. Ich würde also persönliche Mystik und Glauben eher nicht zu einer allgemeinen Religionsdefinition nehmen, weil es m.E. die persönlichen Reaktionen auf Dogma (klingt hart, ich meine damit die Gesamtheit an theoretischen Traditionen und Lehren, das Glaubensgebäude sozusagen), Ritus und Mythos darstellt. Aber wurscht, das sind Haarspaltereien. ;)


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---Damit fange ich an, dass ich meine Religion (Gesamtheit aus Dogma, Ritus, Mythos und Mystik) zwar als heidnisch betrachte, ansehe und auch so benamse - aber "das Heidentum" als nicht greifbar/vorhanden einstufe. HeidenTUM würde imho "Gemeinschaft der Heiden" voraussetzen oder zumindest eine nennenwerte, greifbare Gruppe, die nach ebenfalls greifbaren, selben Grundlagen agiert und die gibt´s nicht  :D also beschränke ich mich auf "heidnisch". Neuheidnisch verwende ich bewusst NICHT, weil mir der Esobereich ziemlich auf die Socken geht  :doh:

--- Ende Zitat ---

naja. Wenn man erwartet, dass jedes -TUM und jeder -ISMUS automatisch starke Gemeinsamkeiten haben muss, dann ja. Ist aber nicht immer so. Und dann gibts Relis, die heißen auf Deutsch ohne einen -ismus und ohne ein -tum und haben trotzdem ein starkes vereinigendes Band (Islam z.B.). Ich würde das eher unter grammatikalische Problematik einordnen. Heidentum ist ein Begriff, der je nach Umstand anders erklärt wird und werden kann. Er ist schwammig und muss in jedem neuen Kontext neu erklärt werden. Insofern sehe ich keinen großen Problemunterschied zwischen dem einzelnen Heiden als Person und dem Begriff Heidentum als Gesamtheit aller sich so bezeichnenden Personen oder als definierter Begriff von bestimmten Glaubenssätzen.


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---1. eine Glaubensrichtung, die keiner Staatsreligion Europas angehört - imho der kleinste gemeinsame Nenner für "heidnisch"  ;)

--- Ende Zitat ---

hm. Naja. Damit wären aber Scientologen und diverse evangelikale Kleingruppen auch Heiden ...


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---2. jemand, der sich selber als Teil der Natur empfindet und auch so agiert (dazu gehört ein gewisses Ökobewusstsein für mich genauso wie Gesundheitsbewusstsein oder humanitäre Ansichten) - also generell bestrebt ist, mit seinem Leben und Tun den kleinst möglichen Schaden an sich selber und schlichtweg allem was exisitiert anzurichten

--- Ende Zitat ---

Das träfe auch auf naturfreundliche Christen und Befreiungstheologen zu.


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---3. jemand, der seine Gottheiten ebenfalls als in der Natur, in sich selber und im System immanent sieht (für mich eher "Ursache-Wirkung" als allmächtige Wirkmacht) - also generell bestrebt ist, seinen Glauben integriert zu leben und andere damit "in Ruhe" zu lassen (JEDER hat das RECHT auf seinen eigenen Glauben, trifft sich´s isses schön, aber verbiegen ist nicht drin)

--- Ende Zitat ---

ein Geza und polytheistische Missionare und Gurus wären demnach keine Heiden. Und wenn ich selber meinen Polytheismus so lebe, dass ich die Gottheiten vor allem fetischhaft im AUSSEN verorte und nicht in mir selbst? Dann bin ich halbheidnisch. *ggg*


--- Zitat von: "AnufaEllhorn" ---4. jemand, der ob des Naturbezugs den Zauber des Seins erlebt und lebt (und deshalb banal erklärbare Dinge auch nicht Zwansmystifizieren muss) - also generell Wissenschaft als durchaus sinnvoll betrachtet (sie als EINE durchaus valide Möglichkeit die Welt zu erklären, die genauso richtig/fehlerhaft/was auch immer ansieht, wenn auch nicht die einzige!!) und Religion als genauso sinnvoll

--- Ende Zitat ---

Fanatische und fundamentalistische Heiden und Wissenschaftsfeinde sind also keine Heiden.

Sorry für meine Zerpflückaktion. Wenn ich alles in allem nehme, ist es ein super Ansatz. Ich habe nur ein Problem damit, dass auch moralische bzw. ethische Grundsätze (die ich ja durchaus auch teile) zur Definition dazugehören. Nicht dass ich mir nicht wünschte, dass es keine rassistischen, fanatischen, missionierenden, gurugläubigen Heiden gäbe, aber die gibts nunmal, die würden aber nicht in Deine Definition passen, müssten also anders benamst werden.

Dasselbe Problem sehen wir auch tagtäglich bei Definitionen von Christentum und Islam. Für den Taliban oder den Salafisten sind alle Muslime, die die Religion nicht so streng auslegen, keine echten Muslime, für den liberalen Muslim missbrauchen die Taliban und die Salaftisten den Islam. Ich behaupte, dass im Islam (sowie in fast jeder Religion, v.a. auch im Heidentum wegen der Vielfalt) so ziemlich jede humane und inhumane, linke und rechte, enge und liberale Strömung möglich und zulässig ist. Zulässig jetzt bei der Religionsdefinition. Wenn also ein Typ kommt, der Odin verehrt, Ausländer hasst, die FPÖ wählt, ein mittelalterliches Frauenbild pflegt und bewusst umweltschädlich lebt, sich aber als Heide bezeichnet, so würde ich ihm das Heide-Sein nicht absprechen. Dass ich seine Einstellung zum Kotzen finde, steht auf einem anderen Blatt.

Liebe Grüße

Mc Claudia

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