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Autor Thema: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besitz?  (Gelesen 9670 mal)

Eldkatten

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Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besitz?
« am: November 11, 2010, 15:12:23 »
Hallo,

vor zwei Wochen hatte ich Gelegenheit, bei einem Kaffee mit einem Professor für 'Deutsche Literatur ab dem 18.Jhd' der Universität Oxford zu plauschen (Hach, was bin ich wichtig  :D ). Eines der Themen, ausgehend von seiner Begeisterung für romantische deutsche Literatur, war die Frage, wem "Altes" eigentlich gehört. Denn ihn als Briten geht deutsche Literatur eigentlich gar nichts an, hart formuliert, denn die "gehört" ja uns Deutschen bzw. Deutschsprachigen. Er sieht in seiner Praxis die andere Seite der Medaille, nämlich Briten zu motivieren, sich mit deutscher Literatur zu befassen, denn die haben doch "ihre eigene" Literatur.

Ich erzählte ihm von der Bronzescheibe, die bei Nebra gefunden wurde: Das Land Sachsen-Anhalt hat sich mit einigen Tricks (Eintragung der Bezeichnung "Himmelsscheibe" und des Designs der Scheibe als "Marke") die Vermarktungsrechte und faktisch das Exklusiv-Eigentum gesichert.
Weiter gings es zum Book of Kells, das eifersüchtig im und vom Trinity College in Dublin gehütet wird. Als Normalsterblicher darf man sich nur die jeweils aktuell aufgeschlagenen zwei Seiten in einer dicken Glasvitrine ansehen, sowie ein paar Faksimiles. Wenn man mehr oder gar das vollständige Buch betrachten möchte, muss man viel Geld für einen Faksimile-Druck ausgeben.
Als letztes Beispiel aus unserer Diskussion erwähne ich die Edda, die von den Germanentümlern und Völkischen als "unser Erbe" angesehen wird, das "unsere Ahnen" quasi direkt in "unsere" Hände gelegt haben.

Es ging also um die Frage, wem alte Dinge, alte Ideen, alte Kunst, deren Urheber schon längst tot und zu Staub zerfallen sind, eigentlich gehört. Wer also das Recht hat, diese alten Dinge, alten Ideen, alte Kunst zu nutzen, den Zugang dazu zu kontrollieren und (exklusiv) zu interpretieren. Wir waren uns ziemlich einig darin, dass solche Dinge, beispielhaft Bronzescheibe von Nebra, Book of Kells und Edda, der gesamten Menschheit gehören, in dem Sinne, das jeder Mensch, egal wo er lebt und woher er stammt, das volle Nutzungs- und Interpretationsrecht hat, und vollen Zugang (eingeschränkt nur durch absolute Notwendigkeiten zur Konservierung der betreffenden Gegenstände) haben soll.
Damit müssten wir uns aber von manchmal liebgewordenen Vorstellungen verabschieden, etwa, dass die Edda "uns Germanen" gehöre, und Afrikaner und Asiaten sie zwar literarisch anerkennen dürfen, aber ansonsten bitte die Finger davon zu lassen haben. Oder dass das Book of Kells den keltischen bzw. iroschottischen Christen gehöre oder gar einer bestimmten Abtei oder einem einzelnen College.
Natürlich muss man den Zusammenhang - örtlich, historisch, kulturell - deswegen nicht zwangsläufig vergessen. Aber was bedeutet es denn heute, dass die Edda auf Island geschrieben wurde? Das ist tausend Jahre her, und kein einzelner Isländer und selbst nicht die gesamte Isländerschaft hat einen begründeten Exklusiv-Anspruch darauf. Dasselbe gilt für archäologische Stätten. Wenn ein Indio aus Venezuela in einem Matronenheiligtum beten will, hat niemand das Recht, ihm das zu verwehren, erst recht nicht mit der Begründung, dass ihm die Stätte "nicht gehöre". Uns gehört sie auch nicht, oder genauso sehr wie dem Indio aus Venezuela.

Ich habe eine Theorie, weswegen manche Leute so sehr auf das "Erbe ihrer Ahnen" abheben, aber die ist nicht nett ;-) Mein Eindruck ist leider immer wieder der, dass die Leute, die sich bei jeder Gelegenheit auf ihre Ahnen und deren Leistungen beziehen, es bitter nötig haben, sich diese Leistungen als vermeintliches Erbe anzueignen, weil sie nämlich selbst Würstchen sind, die keine eigenen nennenswerten Leistungen zustandebringen. Und/oder ein so geringes Selbstbewusstsein haben, dass sie sich mit "Ahnen" und "Erbe" aufzuwerten versuchen müssen. Zum Beispiel diese berüchtigten "Ich bin stolz, Deutscher zu sein"-T-Hemdträger, die weder sagen können, auf was genau sie da stolz sind und was ihr eigener Beitrag zu dem ist, wo sie stolz drauf sein zu dürfen glauben.
Ich bin mir bewusst, dass ich da unter Umständen in ein Wespennest steche, und mir den Unmut mancher zuziehe, die stark an Begriffen wie "Heimat", "Ahnen" und "Wurzeln" hängen. Dennoch stelle ich die Frage in den Raum: was verlieren "wir", wenn Menschen von der anderen Seite dieses Planeten, die seit "out of africa" mit uns keine gemeinsamen Vorfahren mehr haben, ihre Liebe zu Bach, italienischer Renaissance, nordischer Mythologie, Goethe, Schiller und Heine, keltischer Kunst und Megalithkultur entdecken und ausleben? Haben "wir" es nötig, dann von den "Fremden" dafür geehrt zu werden, dass dies vor langer Zeit zufällig an einem Ort geschaffen wurde, in dessen Nähe wir heute zufällig leben?

Und nochmal ganz allgemein gefragt: wem gehören Edda, Book of Kells und die Bronzescheibe von Nebra?

Schönen Gruss
Herbert
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insprinc schubladun

morgane

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #1 am: November 11, 2010, 16:02:25 »
Hi eldkatten!
*Gehören* im sinne von besitzen kann, glaube ich, keinem land, keinem menschen, wirklich etwas. Diese dinge sind in meinen augen wegmarken, die uns dem denken, wissen und glauben anderer kulturen näher bringen können. Sie sind eigentlich für alle menschen da, die sich dafür interessieren.
Besitz bedeutet aber verantwortung. Man muss sich um besitz kümmern, ihn pflegen und erhalten. Das bringt nicht nur ansehen und vielleicht auch ein gewisses nationales identitätsgefühl, sondern erfordert auch mittel. Dieses identitätsgefühl und der nationalstolz sind auch in meinen augen eine fragwürdige sache. Trotzdem bin auch ich in gewissem maße *stolz*, in einer stadt aufgewachsen zu sein, die ein solch reiches geistiges und künstlerisches erbe hat, wie wien. Auch, wenn ich selbst natürlich nichts dazu beigetragen habe.

Wenn z.b. die nachfahren der azteken von wien die federkrone des montezuma zurück fordern, die ägypter von england die rückgabe der kunstschätze usw., dann ist das in etwa vergleichbar mit der rückerstattung jüdischer kunstschätze an die ehemaligen besitzer. Da würden sich wohl einige museen auf der ganzen welt schlagartig leeren  :gruebel:

Uns solche barbarenakte, wie z.b. die zerstörung der buddhastatuen in afghanistan, sind zwar rein rechtlich gedeckt, aber trotzdem ein verbrechen. Die idee des *weltkulturerbes* finde ich gut und ausbaubedürftig, insofern, dass sie auch auf einzelne artefakte und kunstschätze angewandt werden sollte.

lg morgane
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Die natur der natur ist allemal übernatürlich (Seth)

Mc Claudia

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #2 am: November 11, 2010, 16:10:03 »
Hi,

ich schließe mich Eldkatten voll und ganz an.

@Morgane:

Dass ein Museum, Verein etc., die sich um ein antikes Ding kümmert, dass es gut aufgehoben, vor Diebstahl geschützt und weiterhin intakt bleibt, ein gewisses Recht hat, ist klar. Aber wem würde ein Stein aus der Krone fallen, wenn z.B. das Book of Kells hochauflösend auf ner Website zu finden ist, sodass es die ganze Welt bestaunen kann? Oder dass man als Künstlerin die Himmelsscheibe von Nebra als Schmuckstück rekonstruieren darf, ohne sich da irgendwie strafbar zu machen? Dass man in Antiken-Museen fotografieren darf (hatten wir schon hier einen Thread) und die Fotos ins Netz stellt? Dass sich ein Chinese mit demselben Recht auf die Edda bezieht für seine Spiritualität wie wir hiesigen auf das Dao De Dsching? usw.

Es heißt ja nicht umsonst "Erbe der Menschheit". Oder "Weltkulturerbe". Also soll es, soweit möglich, allen zugänglich sein und zur Verwendung zur Verfügung stehen.

liebe Grüße

Mc Claudia
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Eldkatten

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #3 am: November 11, 2010, 17:09:43 »
Hallo morgane,

ich weiss nicht, ob du das so gemeint hast, aber ich finde es interessant, dass du von "wegmarken" sprichst, "die uns dem denken, wissen und glauben anderer kulturen näher bringen können" (Hervorhebung von mir). Ich sehe es nämlich sehr wohl so, dass die Kultur, in deren Zusammenhang zum Beispiel die Edda, das Book of Kells, die Bronzescheibe von Nebra, und selbst so "nahe" liegende Werke wie die Musik von Bach und Heines Literatur geschaffen wurde, eine "andere" ist in dem Sinne, dass es nicht (mehr, teilweise schon sehr lange nicht mehr) die Kultur ist, in der ich hier und heute lebe. Ich habe mich zum Beispiel sehr darüber gewundert, in einem Forum - das ansich noch nicht 'mal sonderlich völkisch ist - davon zu lesen, dass die Kirche "unsere Stämme" (im konkreten Fall die Sachsen, glaube ich) unterdrückt habe. Nein, Franken, Sueben, Sachsen, Friesen, Helveter, Belger (ergänze das bitte durch in dem Gebiet, auf dem heute Österreich liegt, existiert habende Stämme, mir ist gerade kein Name präsent) sind nicht "unsere" - im Sinne von "der Deutschen" - Stämme, und die Belger, Ubier, Treverer oder Ripuarier sind nicht im geringsten "mein" Stamm, nur weil ich dort geboren bin, wo diese vor Hunderten Jahren gelebt haben und längst untergegangen sind. Noch nicht einmal dann, wenn ich von einer Mutter geboren bin, die selbst "hier" geboren wurde. "Mein" Volk ist allerhöchstens das, das jetzt gleichzeitig mit mir lebt, "meine" Kultur ist ausschliesslich die, die ich jetzt lebe. Die Kultur und das Volk der Ubier ist für mich genauso "anders" - sprich fremd - wie die der Isländer des 12. Jahrhunderts oder die der Aborigines vor 7000 Jahren. Jedes Volk, jede Kultur, die vor mehr als - sagen wir - 100 Jahren existiert hat, ist für mich fremd, anders, ist nicht meins und nicht meine.
Insofern bin ich der Meinung, dass niemand einen Anspruch auf Altes hat, niemand dazu "meins!" sagen kann, und sämtliche Erblinien künstliche Konstrukte ohne tatsächlichen Anspruch darstellen.

Werde ich dadurch wurzellos? Ich glaube nicht. Nur kann ich meine "Wurzeln" freier wählen, nämlich indem ich mich dem zuwenden und das in meine ureigene Kultur aufnehmen kann, dem ich mich persönlich nahe fühle. Und ich brauche mich nicht zwangsbeerben und mir von niemandem sagen zu lassen, "Du bist doch auch einer von uns!".

Schönen Gruss
Herbert
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insprinc schubladun

morgane

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #4 am: November 11, 2010, 18:38:04 »
@claudia: zustimm.
@eldkatten: *andere* kulturen war vielleicht ein wenig irreführend. Alle kulturen, die anders funktioniert haben, als unsere, heutige, europäische, sind in meinen augen anders, ob sie jetzt auf dem gebiet statt gefunden hat, wo wir heute leben oder in einem fernen land, ob in ferner vergangenheit oder jetzt.

lg morgane
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Die natur der natur ist allemal übernatürlich (Seth)

barbara

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #5 am: November 11, 2010, 20:49:21 »
Hallo zusammen

ich finde die Idee geistigen Eigentums auch dann absurd, wenn es neue Werke betrifft, nicht nur alte. Kunst ist etwas Lebendiges, und sie muss geteilt werden, verändert, kommentiert, zitiert, erweitert, in neue Zusammenhänge gestellt, aber auch veralbert und kritisiert werden.

Dennoch gibt es eine Kultur, die ich als "meine" bezeichne. Vieles von dem, was ich heute leben, hat Wurzeln, die alt sind - zum Teil mehrere tausend Jahre. Die Bibel für mich als Christin, für mich als Schweizerin der Bundesbrief von 1291... Natürlich ist meine Lebensrealität von diesen alten Zeiten weit weg - dennoch wird in der Melodie meines Lebens, meiner Kultur, diese Motive nach wie vor gespielt, variiert, interpretiert. Sie sind wesentlich für meine Identität, und sie verbinden mich mit diesen alten Zeiten. Nicht via Ahnen, sondern via Bedeutung.

Ebenso wesentlich für meine Identität ist die Landschaft, in der ich lebe. Ich habe festgestellt, dass jene Gegend, in der ich als Kind und Jugendliche lebte, regelrecht in meinem Körper verankert ist. Es ist eine Wurzel, die real und wirksam ist, auch wenn ich heute woanders lebe.

grüsse, barbara
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Eldkatten

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #6 am: November 21, 2010, 12:58:54 »
Hallo barbara,

Zitat von: "barbara"
ich finde die Idee geistigen Eigentums auch dann absurd, wenn es neue Werke betrifft, nicht nur alte. Kunst ist etwas Lebendiges, und sie muss geteilt werden, verändert, kommentiert, zitiert, erweitert, in neue Zusammenhänge gestellt, aber auch veralbert und kritisiert werden.
Ich kenne diese Meinung von Leuten, die ungehemmt Kunst konsumieren wollen. Dahingegen bin ich sehr wohl der Meinung, dass wer etwas leistet, insbesondere, wer etwas neues schafft - völlig egal ob es sich dabei um etwas materielles wie ein robustes und einfach zu bauendes Boot handelt oder etwas immaterielles wie eine Melodie, ein Gedicht oder eine "Idee" - dafür auch eine angemessene Entlohnung bekommen soll. Wobei ich nur an den/die Schöpfende/n selbst denke, nicht an die "Erben" oder sonstige Nutzniesser, die profitieren wollen, obwohl es nicht ihre eigene Leistung ist. Ebensowenig befürworte ich das Recht, Werke anderer Menschen ohne Gegenleistung kopieren zu dürfen, ein Verlangen, das bei einer anderen Gruppe von Menschen bestimmend ist, die die zitierte Meinung - "Kunst muss frei sein!" - auf ihre Fahnen schreiben.
Spätestens mit dem Tod der/des Schaffenden wird das Werk meiner Meinung nach aber Allgemeingut, und kann auch nicht nachträglich wieder als Einzelanspruch erworben werden, egal wie begründet. Somit gehört die Bronzescheibe von Nebra nicht dem Land Sachsen-Anhalt, das Book of Kells gehört nicht dem Trinity College, die Edda gehört nicht den Isländern und der Bundesbrief von 1291 gehört nicht den Schweizern.
Das Urheberrecht an Werken von lebenden Künstlern hat aber mit meiner ursprünglichen Frage wenig zu tun, deswegen will ich es hier auch nicht weiter diskutieren.

Zitat von: "barbara"
Dennoch gibt es eine Kultur, die ich als "meine" bezeichne. Vieles von dem, was ich heute leben, hat Wurzeln, die alt sind - zum Teil mehrere tausend Jahre. Die Bibel für mich als Christin, für mich als Schweizerin der Bundesbrief von 1291... (...)
Ebenso wesentlich für meine Identität ist die Landschaft, in der ich lebe.
(...)
Naja, deine Heimatverbundenheit und die Verbundenheit zu "Wurzeln" ist ja ganz rührend, aber ich sehe auch da nicht so recht, was das mit meiner ursprünglichen Frage zu tun hat. Gehört dir die Bibel? Gehört die Bibel den Christen? Gehört der Bundesbrief von 1291 den Schweizern? Darf ein Schweizer sagen: "Mit dem Bundesbrief von 1291 hab' ich nichts zu tun"? Oder ist er zwangsbeerbt, nur weil er zufällig in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist? Dürfen australische Aborigines, die gegen die britische Besatzung ihres Landes einen eigenen Staat gründen wollen, als Grundfeste und Vorbild den Bundesbrief von 1291 benutzen, in ihre Sprache übersetzen und damit als ihr Gründungsdokument betrachten?

Wenn ich irgendetwas als eine meiner Wurzeln betrachte, sagt das nur etwas darüber aus, was ich als mir nahestehend und mich begründend ansehe. Andere Leute dürfen sich auf dieselben Wurzel beziehen, ohne das mir etwas verloren geht.
Wenn ich aber etwas als mein Erbe betrachte, erhebe ich Besitzanspruch darauf, und spreche anderen das Recht ab, dieses in gleicher Weise wie ich zu nutzen. Und genau das nervt mich bei den Völkischen und vielen Neuheiden, dass sie irgendwas als "Erbe" beanspruchen, irgendwelche seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden tote Mensche zu ihren "Ahnen" erklären, und damit implizit einen exklusiven Anspruch auf "Erbe" und "Ahnen" etablieren.
Darum geht es mir bei meiner Eingangsfrage, nicht um persönliche Bezüge.

Schönen Gruss
Herbert
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
insprinc schubladun

barbara

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #7 am: November 21, 2010, 17:05:55 »
Hallo Herbert

Zitat
Ich kenne diese Meinung von Leuten, die ungehemmt Kunst konsumieren wollen.

ich stelle ja auch selbst so einiges an geistigem Eigentum her und das dürfen alle weiterbearbeiten. Nett finde ich all jene, die einen Link zu mir einstellen, aber wenn's jemanden glücklich machen sollte, meine Sachen zu kopieren und als die eigenen auszugeben, na dann... weiter schlimm wäre das für mich auch nicht. Kunstwerke und Texte sind für mich wie erwachsene Kinder, sobald ich sie veröffentliche, gehören sie nicht mehr mir, sondern führen ihr eigenes Leben.

Und was ein Künstler an Geld wert ist, das betrifft seine aktuelle Fähigkeit zur Kreation, und nicht die alten plattgesessenen Lorbeeren, auf denen schon gründlich ausgeruht wurde.

Zitat
Naja, deine Heimatverbundenheit und die Verbundenheit zu "Wurzeln" ist ja ganz rührend, aber ich sehe auch da nicht so recht, was das mit meiner ursprünglichen Frage zu tun hat. Gehört dir die Bibel? Gehört die Bibel den Christen? Gehört der Bundesbrief von 1291 den Schweizern? Darf ein Schweizer sagen: "Mit dem Bundesbrief von 1291 hab' ich nichts zu tun"? Oder ist er zwangsbeerbt, nur weil er zufällig in der Schweiz geboren und aufgewachsen ist? Dürfen australische Aborigines, die gegen die britische Besatzung ihres Landes einen eigenen Staat gründen wollen, als Grundfeste und Vorbild den Bundesbrief von 1291 benutzen, in ihre Sprache übersetzen und damit als ihr Gründungsdokument betrachten?

mit gehört der Stuhl, auf dem ich gerade sitze - ich habe das alleinige und legal erworbene Verfügungsrecht darüber. Wenn ich Lust hab, stelle ich ihn in ein anderes Zimmer oder mache Kleinholz daraus oder verschenke ihn oder bemale ihn neu oder was auch immer.

Ein Kunstwerk oder Text kann niemandem auf dieselbe Weise "gehören". Geistig "gehört" mir das, womit ich etwas anfangen kann - Ideen, die fruchtbar sind in mir, die mir etwas bedeuten, die meine Gedanken prägen. Falls es einem australischen Aborigine in den Sinn kommen sollte, den Schweizer Bundesbrief mit Digeridoo zu vertonen oder auf seiner Basis einen Gründungsbrief für die eigenen Leute zu schreiben, so macht er sich diesen Text zu eigen, und das mehr als jener selbsternannte Patriot mit Schweizer Pass, der ihn noch gar nie gelesen hat.

Zwangsbeerbt wird jeder Mensch mit dem, was er/sie mitbekommt, von den Eltern, der Familie, der Kultur, und das ist bei allen anders - und ja nichts Schlechtes. Lediglich eine zu akzeptierende Tatsache. Und im Lauf der Jahre stellen ja viele Menschen fest, dass sie ihren Eltern mehr gleichen, als sie das je angenommen haben... und oft auch in jenen Eigenschaften, die sie an den Eltern nicht mögen. Doch was immer ich erbe, an Materiellem oder Immateriellem, ich mache es mir erst dann wirklich zu eigen, wenn ich bewusst damit umgehe - es pflege, dafür sorge, es benutze, oder auch es wegwerfe und aus meinem Leben entferne.

Zitat
Wenn ich aber etwas als mein Erbe betrachte, erhebe ich Besitzanspruch darauf, und spreche anderen das Recht ab, dieses in gleicher Weise wie ich zu nutzen.

das gilt für meine Stühle, aber nicht für meine Bibel. Als Europäerin gehört die Bibel zu meinem kulturellen Erbe, ich finde es aber höchst interessant, was andere Menschen dazu zu sagen haben - besonders auch Menschen, die einen ganz anderen kulturellen Hintergrund haben und der Bibel vielleicht erst als Erwachsene begegne, die als Kinder andere Geschichten gehört haben.

Etwas als Erbe zu betrachten ist nicht dasselbe wie der Anspruch, etwas allein und ausschliesslich nutzen und deuten zu dürfen.

Zitat
Und genau das nervt mich bei den Völkischen und vielen Neuheiden, dass sie irgendwas als "Erbe" beanspruchen, irgendwelche seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden tote Mensche zu ihren "Ahnen" erklären, und damit implizit einen exklusiven Anspruch auf "Erbe" und "Ahnen" etablieren.

Es mag ja solche geben, die sowas tun - sollen sie doch, wenn es ihnen Spass macht und solange sie niemand andern damit belästigen (oder Schlimmeres). Ich verbringe allerdings lieber Zeit mit Menschen, die einen etwas offeneren Geist haben, und meide Fanatiker aller Art.

grüsse, barbara
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Nachteule

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #8 am: November 21, 2010, 18:32:41 »
Zitat von: "Eldkatten"
Hallo barbara,



...Und genau das nervt mich bei den Völkischen und vielen Neuheiden, dass sie irgendwas als "Erbe" beanspruchen, irgendwelche seit Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden tote Mensche zu ihren "Ahnen" erklären, und damit implizit einen exklusiven Anspruch auf "Erbe" und "Ahnen" etablieren.
Darum geht es mir bei meiner Eingangsfrage, nicht um persönliche Bezüge.


Ich glaube das  man im religiösen Sinne durchaus an ein spirituelles Erbe anknüpfen darf und in diesem Sinne von spirituellen Ahnen sprechen kann, die zuvor auf dem Weg waren. Mir ist dabei bewusst wie vielfältig beispielsweise das keltische Religionswesen neuinterpretiert werden kann.
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Mc Claudia

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Re: Alte Literatur und arch.Funde:Menschheitserbe oder Besit
« Antwort #9 am: November 21, 2010, 23:14:38 »
Naja - Eldkatten schrieb "beanspruchen", Nachteule schrieb "anknüpfen". Ich seh da einen krassen Unterschied. Letzteres ist reichlich ungezwungener, ersteres schließt andere aus.
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