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Autor Thema: Was bedeutet Heidentum für mich?  (Gelesen 9898 mal)

Mc Claudia

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Was bedeutet Heidentum für mich?
« am: November 18, 2012, 11:10:24 »
Hi,

in der heißen Diskussion zum Pagan Piper Project hat Nordana geschrieben:

viewtopic.php?f=11&t=881&start=15#p11814

Nordana schrieb:
"Ja, bezüglich "Heiden" hatte ich nun kürzlich ein befremdliches Erlebnis. Letzte Woche hatte die halbe Band (aus individuellen Zeitgründen nur eben die Hälfte) einen Testauftritt bei einem openmic. Wir spielten 2 Lieder (wie alle anderen Künstler dort). Da traf ich einen alten Bekannten und er fragte mich, zu welchem Thema wir Musik machten. Ich erzählte ihm von den Jahreskreisen und von den Heiden. Beim Wort "Heiden" war er etwas irritiert und fragte, ob wir alle damit meinten, die aus der Kirche ausgetreten sind, oder eben nicht christlich sind. Ich sagte ihm, ja das auch und es handelt sich meist um Naturreligionen und vielleicht eher um einen animistischen Zugang. Ich erzählte ihm dann auch etwas von den keltischen Festen. Aber seine Frage brachte mich erst aus dem Gleichgewicht. Denn klar, für Dritte ist "Heiden" nichts anderes als alle, die die christliche Kirche nicht die ihren nennt. Der Begriff ist ja von der christlichen Kirche geprägt worden. Ja vielleicht sogar erfunden worden? So gesehen, kam ich wieder auf das, was wir oft im Wurzelwerk-Forum diskutiert hatten: Dass der Begriff Heide für uns einerseits passend aber andererseits auch nicht völlig passend ist. Bzw. ist es ein Dilemma, dass wir kaum einen anderen Begriff für uns finden. Eine alte Mähr... "

Barbara meinte, man könne eine Diskussion starten, was Heiden sind, was es bedeutet, und ich bin der Meinung, das sollten wir wieder mal machen  :)

Da ich aber mit dem Vorwissen diesen Thread eröffne, dass jede/r hier unter Heidentum was anderes versteht und sich letztlich nur eine Schnittmenge, ein verschlungener roter Faden ermitteln lässt, will ich gar nicht drüber diskutieren, was richtig oder nicht richtig ist - denn "Heidentum" ist ein schwammiger Begriff, der alles mögliche bedeuten kann, u.a. folgendes:

- bunte lustige Traditionen und Feste innerhalb von Religionen
- positiver, ritueller Standpunkt zur Sexualität
- spiritueller Natur-Diskurs oder sogar Natur-Dogma
- Naturreligion (was immer das auch ist) ....
- Polytheismus
- Animismus
- Pantheismus
- Panentheismus
- Atheismus
- Agnostizismus
- NIcht-christliche Religionen
- Nicht-muslimische Religionen
- Nicht-jüdische Religionen
- Nicht-monotheistische Religionen
- Bräuche, die man aufgrund ihrer Grausamkeit für überwunden glaubt
- Lebensfreude in der Religion/der Spiritualität
- Leben im Einklang mit der Natur
- usw.

Was also bedeutet für Euch Heidentum? (Vorausgesetzt, Ihr würdet den Begriff für Euer spirituelles Tun hier überhaupt verwenden.) Aber auch für all jene, die den Begriff nicht für sich verwenden - warum nicht? Wie nennt Ihr Euer spiri. Tun im Überbegriff dann?

Wichtig wäre mir, in diesem thread zu schaun, dass man konkrete, definierbare Begriffe verwendet, die man mit Heidentum in Verbindung bringt, also keine Gefühligkeiten, sondern Erklärbares, Verstehbares.

Liebe Grüße

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Mc Claudia

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Re: Was bedeutet Heidentum für mich?
« Antwort #1 am: November 18, 2012, 11:23:57 »
Ich beginne mal:

Heidentum bedeutet für mich persönlich eine Religion (Religion definiert als Gesamtheit von Dogma-Ritus-Mythos), die vermehrt folgende Punkte beinhaltet. Das heißt, es gibt m.E. kein klares, reines Heidentum, sondern aufgrund der Schwammigkeit des Begriffes nur Religionen, die mehr oder weniger oder auch gar nicht heidnisch sind. Diese für mich wichtigen Punkte sind:

- Polytheismus (ist mir ganz wichtig, m.E. sind monotheistische Religion per definitionem nicht heidnisch, auch schon aus der Geschichte des Begriffs "Heidentum" nicht, der ja v.a. von den monotheistischen Religionen für das "andere" geprägt wurde).
- Animismus (Glaube an die Beseeltheit von Dingen und natürlichen Phänomenen)
- Diesseits-Orientierung (keine moralische Konsequenz im Jenseits, kein Karma)
- do-ut-des-Prinzip
- Pluralismus (fehlender absoluter Wahrheitsanspruch, bei Kulturkontakt leichte Integration anderer Gottheiten und Riten)
- Stammesdenken (meine Götter, deine Götter. Verbindung von Religion, Politik, Moral und Gemeinschaft zu einem Einzigen.)
- traditionelle Entwicklung (das heißt, kein Religionsgründer, kein Guru)

Von der Chronologie würde ich vier Sorten Heidentum nennen:
- traditionelles Heidentum, das heißt, z.B. Shintoismus, Voodoo, etc. Traditionen ohne Bruch, die heute noch existieren
- wieder belebtes Heidentum: z.B. baltisches Heidentum. Heidentum, das nur ein paar Generationen verboten war und leicht zu rekonstruieren ist.
- rekonstruiertes Heidentum: Heidentum, das nur mehr aus der Geschichte bekannt ist (Kelten, Römer, Germanen....) und (re)konstruiert wird
- neue Kulte (zB. Wicca). Das heißt, ein modernes spirituelles Paradigma, das sich Teile aus anderen Heidentümern nimmt.

Die Grenzen sind fließend. Rein und klar ist selten was.

Für mich persönlich bedeutet der Begriff "Neu" in Neu-Heidentum, dass meine Ethik eine moderne, an den Menschenrechten orientierte, ist und Individualismus für mich eine große Rolle spielt. Das heißt, von den oben genannten Punkten verweigere ich Stammesdenken, und eine traditionelle Entwicklung ist bei einem Recon-Heidentum natürlich auch nicht gegeben, es ist ein Novum. Mit den anderen Punkten (Polytheismus, Animismus, do-ut-des-Prinzip, Diesseits-Orientierung...) gehe ich voll d-accord.

So sieht mein Heidentum-Begriff aus.

Wie seht Ihr das?

liebe Grüße

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

AnufaEllhorn

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Re: Was bedeutet Heidentum für mich?
« Antwort #2 am: November 18, 2012, 14:04:20 »
Well met, Mc Claudia ;)

Zuerst einmal "Hut ab", dass Du Dir das wieder mal antun willst  :thumbsup: zweitens dann gleich nochmal, weil die knappe Beschreibung für Religion "Gesamtheit aus Dogma, Ritus und Mythos" für mich ein wunderschöner Startpunkt ist. Ich persönlich würde da noch die Mystik mit hineinnehmen und dann ist das für mich supergriffig!!!

Damit fange ich an, dass ich meine Religion (Gesamtheit aus Dogma, Ritus, Mythos und Mystik) zwar als heidnisch betrachte, ansehe und auch so benamse - aber "das Heidentum" als nicht greifbar/vorhanden einstufe. HeidenTUM würde imho "Gemeinschaft der Heiden" voraussetzen oder zumindest eine nennenwerte, greifbare Gruppe, die nach ebenfalls greifbaren, selben Grundlagen agiert und die gibt´s nicht  :D also beschränke ich mich auf "heidnisch". Neuheidnisch verwende ich bewusst NICHT, weil mir der Esobereich ziemlich auf die Socken geht  :doh:

>Wichtig wäre mir, in diesem thread zu schaun, dass man konkrete, definierbare Begriffe verwendet, die man mit Heidentum in Verbindung bringt, also keine Gefühligkeiten, sondern Erklärbares, Verstehbares.

Da dran will ich mich gern halten ... als heidnisch betrachte ich:
1. eine Glaubensrichtung, die keiner Staatsreligion Europas angehört - imho der kleinste gemeinsame Nenner für "heidnisch"  ;)
2. jemand, der sich selber als Teil der Natur empfindet und auch so agiert (dazu gehört ein gewisses Ökobewusstsein für mich genauso wie Gesundheitsbewusstsein oder humanitäre Ansichten) - also generell bestrebt ist, mit seinem Leben und Tun den kleinst möglichen Schaden an sich selber und schlichtweg allem was exisitiert anzurichten
3. jemand, der seine Gottheiten ebenfalls als in der Natur, in sich selber und im System immanent sieht (für mich eher "Ursache-Wirkung" als allmächtige Wirkmacht) - also generell bestrebt ist, seinen Glauben integriert zu leben und andere damit "in Ruhe" zu lassen (JEDER hat das RECHT auf seinen eigenen Glauben, trifft sich´s isses schön, aber verbiegen ist nicht drin)
4. jemand, der ob des Naturbezugs den Zauber des Seins erlebt und lebt (und deshalb banal erklärbare Dinge auch nicht Zwansmystifizieren muss) - also generell Wissenschaft als durchaus sinnvoll betrachtet (sie als EINE durchaus valide Möglichkeit die Welt zu erklären, die genauso richtig/fehlerhaft/was auch immer ansieht, wenn auch nicht die einzige!!) und Religion als genauso sinnvoll
 ...
so und nu muss ich unterbrechen, weil ich mir den heurigen Yule-log aus dem Wald holen geh ;)
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »
Bright blessings
Anufa

Freyjatru

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Re: Was bedeutet Heidentum für mich?
« Antwort #3 am: Dezember 16, 2012, 23:49:41 »
Für mich ist Heidentum, eine Religion, die sich in irgendeiner Weise eine Interpretation der antiken europäischen Religion in Zentrum stellt. Asiatische Religionen, wie z.B. Shintoismus, wären demnach für mich nicht heidnisch. Personen, die neben antiken Gottheiten auch alles andere, was irgendwie interessant ist, sind für mich Synkretisten oder Universal-Spirituelle, aber keine Heiden.

Bei den Heiden unterscheide ich weiters:
Recon-Heiden: Bei Recon-Heiden ist alles, was in der Vergangenheit war, gut. Neue Interpretationen sind abzulehnen (Z.B. die GGG)
Traditionelle Heiden: Heiden, die ähnlich wie Recon-Heiden eher sich an Traditionen orientieren, aber in ihrem Wirken ganz klar abgestimmte und festgelegte Neuinterpretationen zulassen (Z.B. Wicca)
Progressive Heiden: Heiden, die offen für neue Interpretationen sind.
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Mc Claudia

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Re: Was bedeutet Heidentum für mich?
« Antwort #4 am: Dezember 18, 2012, 17:47:44 »
Hi Anu,

danke für Deine ausführliche Antwort.

Zitat von: "AnufaEllhorn"
Zuerst einmal "Hut ab", dass Du Dir das wieder mal antun willst  :thumbsup: zweitens dann gleich nochmal, weil die knappe Beschreibung für Religion "Gesamtheit aus Dogma, Ritus und Mythos" für mich ein wunderschöner Startpunkt ist. Ich persönlich würde da noch die Mystik mit hineinnehmen und dann ist das für mich supergriffig!!!

Mystik - also ich bezeichne das jetzt mal als spirituellen individuellen Weg - ist in vielen Religionen Teil davon, aber nicht in allen. Beim herkömmlichen Islam oder Christentum gehts erstmal um Glauben. Ob der/die einzelne mystische Erfahrungen macht, ist nebensächlich. Umgekehrt ist in vielen anderen Religionen der nach außen getragene Glauben eher wurscht, solange man sich brav an die Tradition hält. Ich würde also persönliche Mystik und Glauben eher nicht zu einer allgemeinen Religionsdefinition nehmen, weil es m.E. die persönlichen Reaktionen auf Dogma (klingt hart, ich meine damit die Gesamtheit an theoretischen Traditionen und Lehren, das Glaubensgebäude sozusagen), Ritus und Mythos darstellt. Aber wurscht, das sind Haarspaltereien. ;)

Zitat von: "AnufaEllhorn"
Damit fange ich an, dass ich meine Religion (Gesamtheit aus Dogma, Ritus, Mythos und Mystik) zwar als heidnisch betrachte, ansehe und auch so benamse - aber "das Heidentum" als nicht greifbar/vorhanden einstufe. HeidenTUM würde imho "Gemeinschaft der Heiden" voraussetzen oder zumindest eine nennenwerte, greifbare Gruppe, die nach ebenfalls greifbaren, selben Grundlagen agiert und die gibt´s nicht  :D also beschränke ich mich auf "heidnisch". Neuheidnisch verwende ich bewusst NICHT, weil mir der Esobereich ziemlich auf die Socken geht  :doh:

naja. Wenn man erwartet, dass jedes -TUM und jeder -ISMUS automatisch starke Gemeinsamkeiten haben muss, dann ja. Ist aber nicht immer so. Und dann gibts Relis, die heißen auf Deutsch ohne einen -ismus und ohne ein -tum und haben trotzdem ein starkes vereinigendes Band (Islam z.B.). Ich würde das eher unter grammatikalische Problematik einordnen. Heidentum ist ein Begriff, der je nach Umstand anders erklärt wird und werden kann. Er ist schwammig und muss in jedem neuen Kontext neu erklärt werden. Insofern sehe ich keinen großen Problemunterschied zwischen dem einzelnen Heiden als Person und dem Begriff Heidentum als Gesamtheit aller sich so bezeichnenden Personen oder als definierter Begriff von bestimmten Glaubenssätzen.

Zitat von: "AnufaEllhorn"
1. eine Glaubensrichtung, die keiner Staatsreligion Europas angehört - imho der kleinste gemeinsame Nenner für "heidnisch"  ;)

hm. Naja. Damit wären aber Scientologen und diverse evangelikale Kleingruppen auch Heiden ...

Zitat von: "AnufaEllhorn"
2. jemand, der sich selber als Teil der Natur empfindet und auch so agiert (dazu gehört ein gewisses Ökobewusstsein für mich genauso wie Gesundheitsbewusstsein oder humanitäre Ansichten) - also generell bestrebt ist, mit seinem Leben und Tun den kleinst möglichen Schaden an sich selber und schlichtweg allem was exisitiert anzurichten

Das träfe auch auf naturfreundliche Christen und Befreiungstheologen zu.

Zitat von: "AnufaEllhorn"
3. jemand, der seine Gottheiten ebenfalls als in der Natur, in sich selber und im System immanent sieht (für mich eher "Ursache-Wirkung" als allmächtige Wirkmacht) - also generell bestrebt ist, seinen Glauben integriert zu leben und andere damit "in Ruhe" zu lassen (JEDER hat das RECHT auf seinen eigenen Glauben, trifft sich´s isses schön, aber verbiegen ist nicht drin)

ein Geza und polytheistische Missionare und Gurus wären demnach keine Heiden. Und wenn ich selber meinen Polytheismus so lebe, dass ich die Gottheiten vor allem fetischhaft im AUSSEN verorte und nicht in mir selbst? Dann bin ich halbheidnisch. *ggg*

Zitat von: "AnufaEllhorn"
4. jemand, der ob des Naturbezugs den Zauber des Seins erlebt und lebt (und deshalb banal erklärbare Dinge auch nicht Zwansmystifizieren muss) - also generell Wissenschaft als durchaus sinnvoll betrachtet (sie als EINE durchaus valide Möglichkeit die Welt zu erklären, die genauso richtig/fehlerhaft/was auch immer ansieht, wenn auch nicht die einzige!!) und Religion als genauso sinnvoll

Fanatische und fundamentalistische Heiden und Wissenschaftsfeinde sind also keine Heiden.

Sorry für meine Zerpflückaktion. Wenn ich alles in allem nehme, ist es ein super Ansatz. Ich habe nur ein Problem damit, dass auch moralische bzw. ethische Grundsätze (die ich ja durchaus auch teile) zur Definition dazugehören. Nicht dass ich mir nicht wünschte, dass es keine rassistischen, fanatischen, missionierenden, gurugläubigen Heiden gäbe, aber die gibts nunmal, die würden aber nicht in Deine Definition passen, müssten also anders benamst werden.

Dasselbe Problem sehen wir auch tagtäglich bei Definitionen von Christentum und Islam. Für den Taliban oder den Salafisten sind alle Muslime, die die Religion nicht so streng auslegen, keine echten Muslime, für den liberalen Muslim missbrauchen die Taliban und die Salaftisten den Islam. Ich behaupte, dass im Islam (sowie in fast jeder Religion, v.a. auch im Heidentum wegen der Vielfalt) so ziemlich jede humane und inhumane, linke und rechte, enge und liberale Strömung möglich und zulässig ist. Zulässig jetzt bei der Religionsdefinition. Wenn also ein Typ kommt, der Odin verehrt, Ausländer hasst, die FPÖ wählt, ein mittelalterliches Frauenbild pflegt und bewusst umweltschädlich lebt, sich aber als Heide bezeichnet, so würde ich ihm das Heide-Sein nicht absprechen. Dass ich seine Einstellung zum Kotzen finde, steht auf einem anderen Blatt.

Liebe Grüße

Mc Claudia
« Letzte Änderung: Januar 01, 1970, 01:00:00 von Guest »

Iril

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Re: Was bedeutet Heidentum für mich?
« Antwort #5 am: November 23, 2018, 08:40:30 »
Was bedeutet Heidentum für mich?

Diese Frage war für mich knifflig. Bin ich eine Heidin? Bin ich Pagan? Wie würde ich mich selbst verorten und warum? Eigentlich etwas Selbstverständliches aber dennoch habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht. Ich habe mich selbst nur zu den seltensten Gelegenheiten als Heidin zur erkennen gegeben. 

Ich bin gläubig aber nicht an eine der anerkannten großen Religionen. Warum nicht? Warum ist es mir wichtig nicht mit ihnen in Zusammenhang gebracht zu werden? Die Bibel ist für mich ein Geschichtenbuch, den Koran habe ich nie gelesen. Vielleicht mag ich auch einfach nicht was ich aus den verschiedensten Geschichtsbüchern (auch Zeitgeschichte) über die unterschiedlichen Umsetzungen der jeweiligen Religionen lesen kann (Religionskriege, Hexenverbrennungen, Verfolgung Andersgläubiger, die Unterdrückung von Frauen,  ...) – weil diese Umsetzung nicht mit meinem Menschenbild vereinbar ist. Auch aktuelle Auslegungen der angeblichen Vorschriften (Gebote/Verbote) wie zum Beispiel über die sexuelle Orientierung oder gar die Verbannung des menschlichen Grundbedürfnisses nach Sexualität,– sind mit meinem Menschenbild nicht vereinbar. Für mich hat es also sehr viel auch mit der Auslegung der Religionen zu tun warum ich sie eigentlich für mich selbst ablehne.

Aber auch sonst entspricht das Bild eines männlichen, allmächtigen Wesens nicht meinem Sinn für Gleichberechtigung als Frau. Ich fühle mich hier einfach zu wenig vertreten. Ich könnte schon eher etwas mit einem geschlechtslosen Begriff, wie zum Beispiel das Alleine, anfangen.
 
Mich stört auch sehr der strafende und belohnende Aspekt den man dem „Gott“ der Bibel nachsagt. Über den Koran kann ich nicht viel sagen, damit bin ich nicht konfrontiert gewesen und habe mich zu wenig auseinandergesetzt. Hier haben mich einfach bereits die Auslegungen der bisherigen Anhänger abgehalten mich näher damit auseinander zu setzen und auch die Sprachbarriere. Natürlich gibt es wie bei der Bibel eine Übersetzung aber auch die Bibel ist nur schwierig zu lesen und extrem langweilig (Aufzählung von Grausamkeiten und Erbfolgen).  Demnach Nein auch die Bibel habe ich nicht gelesen. Beziehungsweise nur zum Teil. Dafür habe ich eine Kinderbibel gelesen (das hat mir schon gereicht). Hat mich aber auch nicht dazu bewegt Christin zu werden.

Vielleicht aber auch einfach, weil ich als nicht getauftes Kind nicht zum Religionsunterricht der anderen katholischen Kinder durfte. Ich durfte zum evangelischen Unterricht aber ich wollte doch sowieso nur mit meiner Freundin zusammen bleiben, der Unterricht an sich war mir egal. Tja hat nicht geklappt und von da an war ich eigentlich nicht mehr im „christlichen“ Religionsunterricht.
Für mich sollte der Religionsunterricht in der Schule auch nicht unbedingt von einer Religion geprägt sein. Man sollte Kindern grundlegende Kenntnisse über die vielen verschiedenen Religionen sowie auch ethische, moralische, philosophische Themen näher bringen. Dazu braucht es mehr als einen „christlichen“ Religionsunterricht.

 Ich bin auch dafür Religion und Staat zu trennen. Die Feiertage sollten aber bleiben, sich eventuell sogar mehren – mehr Freizeit und Freiraum für die Familie, das eigene Leben und die eigene Lebensfreude.

Hier wären wir bei einem weiteren wichtigen Punkt warum ich die herkömmliche religiöse Vorstellung nicht teile: Spaß und Freude, der Genuss ist eine Sünde. Ich glaube nicht in dem Sinne an die Sünde oder den Teufel. Und da wären wir wieder bei dem strafenden Gott, der mich belohnt wenn ich „brav“ bin. „Bravsein“ wird leider nur fremdbestimmt und vielleicht will ich einfach nicht immer „brav“ sein also nach einer Definition leben, die nicht von mir mitbestimmt werden kann. Für das gemeinsame Zusammenleben in einer Gesellschaft gibt es Gesetze, die das Einhalten bestimmter Verhaltensweisen absichern. Diese Gesetze sind Menschen gemacht und sobald ein Mensch erwachsen ist, kann er durch politische Wahl die Gesetze auch mitbestimmen bzw. beeinflussen. Ich denke für mich hat die Politik diese Position zu Recht übernommen und das Gottesbild kann sich jetzt auch dadurch ändern. Es muss nicht länger die Menschen dazu anhalten sich auf eine bestimmte Weise zu verhalten – dazu gibt es jetzt Gesetze und den Staat (mit all seinen Mitteln). Zu der Zeit in der die Bibel entstanden ist mag die Religion dafür notwendig gewesen sein. Heute finde ich ist sie es nicht mehr.

Das heißt letztendlich finde ich die meisten Vorstellung überholt. Für unsere Zeit nicht mehr angebracht. Die Religion hat meiner Meinung nach viel mit dem Leben zu tun und mit der Zeit in dem dieses Leben stattfindet. Also für mich ist der Kontext entscheidend. Es verändert sich einfach wozu wir Religion brauchen bzw. nutzen. Es verändern sich Vorstellungen und Lebensrealitäten. Insofern finde ich es wichtig, dass sich der eigene Glaube anpassen kann, verändern kann, offen bleibt. Ich muss heute nicht mehr an bestimmten Worten festhalten. Ja, es sind Geschichten aber ich muss nicht darauf bestehen das sie wahr sind, ich sie als einziger richtig verstehe und sie für alle heute immer noch wesentliche Bedeutung haben müssen. Ich muss nicht darauf bestehen, dass es unumstößliche Gesetze für das heutige Leben sind. Ich kann daraus viel lernen auch für das heutige Leben, wenn ich mich damit auseinandersetze und mir meine eigenen Gedanken dazu erlaube. Wenn es also dazu führt mich zum Denken anzuregen.

Glauben ist für mich eine Entscheidung, die sich aus mir selbst heraus entwickelt hat und immer noch weiter entwickelt. Ich nehme mir gerne das was ich für mich selbst als wahrhaftig erfahre (ob nun mittels meines Verständnisses also mittels meines Verstandes oder mittels meiner Intuition also meiner Gefühle) und füge das in mein Glaubensverständnis ein.

Ich kann nichts mit dogmatischen Auslegungen anfangen. Ich verstehe keine Religionen, die darauf bestehen, dass alle dasselbe glauben müssen und andere „Nicht-Gläubige“ abwerten oder aufklären/bekehren wollen. Also die freie Entscheidung eines jeden Menschen untergraben.
Darum habe ich mich wohl dem „Heidentum“ zugewandt. Schließlich wurden Menschen, die nicht christlich waren von Christen oft als die „Heiden“ bezeichnet. Und irgendwie war ich nach all dem richtig froh Heidin zu sein.

Viele assoziieren dann aber gerne mit dem Begriff „Heidin“ naturreligiös, magisches Weltbild, historische Kenntnisse (das wieder aufgreifen historischer Glaubensrichtungen) – mit dem kann ich mich nicht wirklich anfreunden.
Ich werde wahrscheinlich auch der Vorstellung von Heidin als die Nächte durchfeiernde Person nicht gerecht. Mein Lebensrhythmus ist ganz anders. Ich betrinke mich auch nicht und wenn ich in meiner Umgebung von Menschen mit einem Alkoholproblem weiß, dann werden die Rituale ganz ohne Alkohol gefeiert. Bei mir werden die meisten sowieso ohne gefeiert, weil ich meistens ein Kind dabei habe.

Also naturreligiös bin ich nur insofern, dass ich mich symbolisch an Mondphasen, astronomische Kenntnisse (Laienhaft), am Jahreskreis meiner Heimat orientiere. Ich nehme mir also aus der Natur einige Symbolbilder. Ich muss aber nicht auf einem Bauernhof leben (ich wäre keine gute Bäuerin). Ich habe auch keine Lust auf einen Garten, die Gartenarbeit wäre nichts für mich. Ich wühle nicht so gerne in der Erde. Ich campe auch nicht gerne. Das Schlafen in einem Zelt kann ganz schön anstrengend sein und bietet nicht viel Komfort. Und Insekten sind etwas mit dem man mich jagen kann. Darüber gab es schon einige Lacher aber ich habe eine große Insektenphobie. Ich lebe gerne in der Stadt und bin begeistert von den heutigen Technologien wie fließend warmes Wasser, Strom, Computer.

Der Grundsatz im Einklang mit der Natur zu leben, heißt für mich auf meine Umgebung zu achten und alle Lebewesen (auch Pflanzen)  wertzuschätzen. Es heißt für mich darauf einzugehen, dass ich nicht alleine auf dieser Welt lebe und in meinem Rahmen, nach meinen Möglichkeiten zu versuchen die Welt (zählt als Gesamtes ebenfalls als Lebewesen) für alle Lebewesen lebenswert zu machen/gestalten bzw. zu erhalten.

Ich würde meine Glaubensvorstellung nicht als historisch bezeichnen oder würde mich dort auch nicht verorten. Ich bin geschichtlich nicht so interessiert wie manchmal von Menschen angenommen wird, denn es herrscht oft die Meinung vor als Heide würde doch jeder nach religiösen Vorstellungen aus der Zeit vor dem Christentum oder noch weiter leben wollen. Ich stelle dahingehend aber keine Nachforschungen an und interessiere mich dafür auch nicht wirklich. Jetzt habe ich mich wohl als Banause zu erkennen gegeben. Ich bin auch nur begrenzt empirisch wissenschaftlich interessiert. Für mich ist glauben definitiv etwas anderes als empirisch erforschbar und nachweisbar. Vieles was empirisch erforschbar und nachweisbar ist hat für mich einfach sehr starke Abhängigkeit von den Voraussetzungen und den Interessen der empirischen Forscher. Ich weiß, dass die Welt durch empirische Forschung bereichert wird aber für mich hat sie in der Religion ihre Grenzen. So auch die empirische wissenschaftliche Geschichtsforschung.
Aber irgendwie verstehe ich Heidesein auch so, dass ich davon ausgehe das mehrere Realitätsebenen von unterschiedlicher Qualität gleichwertig und gleichzeitig nebeneinander existieren können und ich die Realitätsebene je nach Notwendigkeit wechsle. So eine Art Mehrdimensionalität im Denken, Fühlen, Wahrnehmen, Vorstellen. Alles hat für mich seine Berechtigung und seinen Bereich. 

Ich interessiere mich für alle möglichen Sagen, Mythen, Märchen, Legenden, Fantasiegeschichten und die darin vorkommenden Charaktere. Aber nicht in einem empirisch wissenschaftlichen an Fakten interessierten Sinne sondern aus Spaß, Leidenschaft, der Freude am Lesen. Rein aus Lust und Laune. Außerdem eignen sich viele Bilder darin als symbolhafte Darstellungen meiner Göttin bzw. meines Gottes also ihrer verschiedenen Aspekte. Mir gefällt also der Symbolcharakter und der bereichert auch meine Glaubensvorstellungen.

Ich sammle mir auch von anderen geographischen Kontexten Vorstellungen zusammen, die ich für mich passend und stimmig finde. Warum? Weil ich glaube, das Raum und Zeit Illusionen sind. In meinem Kopf, in meiner Vorstellung kann ich an jedem Ort zu jeder Zeit sein. Ich kann also mit allem Kontakt aufnehmen. Ich lebe prinzipiell nach dem was für mich funktioniert. Ich bin da sehr praktisch veranlagt.

Also im Internet fand ich unter Neuheidentum folgenden Ausschnitt aus einer Definition: „Besonders asiatische, indianische und keltische Elemente werden aufgegriffen und – ohne Rücksicht auf den historischen oder geographischen Kontext – den eigenen Vorstellungen angepasst.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Heidentum#Neuheidentum)

Dieser Definition würde ich mich anschließen. Darunter kann ich mich einreihen. Den negativen Beigeschmack einmal weglassend, der mir beim ersten Mal lesen gekommen war.

Warum muss denn immer alles eine lange Tradition haben? Außerdem hat jede Tradition auch mal klein angefangen. Nicht das ich daran interessiert wäre eine Tradition zu gründen.

Dieses Unendliche da draußen und in mir wird mir nicht böse sein, wenn ich mir mein eigenes Bild von ihm mache. Auch wenn es wahrscheinlich überhaupt nur wenig mit ihm zu tun hat. Und solange ich damit nicht irgendwelche Gier, Grausamkeit, Gewalt rechtfertige.

Insofern ja ich bin eine Heidin, einfach auch um mich zu positionieren als nicht einer der großen Religionen Angehörigen. Um mich mit anderen zu vernetzen, die „ähnliche“ Glaubensvorstellungen haben. Weil für mich Heidin sein eine freie Entscheidung ist und zu meiner Selbstbestimmung dazu gehört. Die Unterbegriffe Hexe, Schamanin, Magierin treffen auf mich nur begrenzt zu (wobei ich von allem ein bisschen was in meine Vorstellungen integriert habe). Insofern tendiere ich schon mehr mir meine eigenen Namen zu geben, die eine Seelenfamilienzugehörigkeit und meine Ziele ausdrücken. Dazu zählt der Name Silfboga aber auch Bomwaijar (beides Resultate meiner Beschäftigung mit Runen).
 
Eines ist mir als Heidin noch wichtig – das der Glauben lebendig sein kann, sich verändern kann. Ich kann mich verändern und damit auch das woran ich glaube. Ein wesentliches Element des Heidentums ist für mich damit Veränderung.

Was bedeutet bzw. ist Heidentum oder Neuheidentum für mich?
  • hat dazu beigetragen das Spektrum von Religion zu erweitern,
  • es bietet Raum für eigene Interpretationen und Glaubensvorstellungen, den eigenen Zugang zum Göttlichen bzw. zum Selbst/ der eigenen Spiritualität
  • es fördert und fordert selbst zu denken, selbst zu fühlen, selbst zu entscheiden, selbst zu wählen – es ermöglicht selbst zu entscheiden was wirklich dem eigenen Wesen am besten entspricht
  • es lässt Raum für die Vielfalt menschlicher Vorstellungen von Religion und Glauben (was beides nicht dasselbe sein muss)
  • es lässt Raum für die Vielfalt menschlicher Lebenswirklichkeiten, Lebensbedürfnissen und Lebenskonzepten
  • es ist ein Sammelsurium vielfältiger Meinungen, unterschiedlichster Menschen, verschiedenster Sichtweisen, Methoden, Herangehensweisen
  • ein Oberbegriff
  • Veränderung und Anpassung